Es war ein bewegender Moment, als Warnfried Altmann heute zum letzten mal die kleine Bühne im Foyer des Magdeburger Schauspielhauses betrat. um auf das nächste Konzert von Jazz in der Kammer aufmerksam zu machen und die Künstler des Abends anzukündigen. Diesmal war es auch eine Mitteilung in eigener Sache bzw. in Sachen der Konzertreihe, und es war ihm anzumerken, daß ihm das nicht leicht fiel.
Schließlich hatte er das Aus für
Jazz! Entdeckungen im Schauspielhaus anzukündigen, einer Reihe, die er von Beginn an als künstlerischer Leiter begleitete und die über 26 Jahre und 260 Konzerte hinweg für neue Musikimpulse in Magdeburg gesorgt hat, einem (wie das Theater noch vor kurzem schrieb)
Fixpunkt im Kalender der Jazzgemeinde. Er erinnerte daran, was die Magdeburger Jazzreihe bisher geprägt hat: "Es gab hier Musik, wie sie noch nie so zu erleben war, es gab viel experimentelles, was ja immer auch ein Risiko ist – aber wenn dann alles klappt und man sitzt im Publikum, dann nimmt man sich so viel schönes mit nach Hause".
Warnfried Altmann bedauerte zutiefst die Entscheidung der Theaterleitung und stellte fest, dass es keine nachvollziehbaren Gründe dafür gebe. An die Besucher der Konzertreihe schreibt er in einer E-Mail:
Der nächste dritte Montag im Monat, der 20.06.16, 20.00 wird mit dem Quartett „Field“, dem Gitarristen Ronny Graupe (Dozent an der Hochschule der Künste in Bern), dem Saxophonisten Uli Kempendorff, Jonas Westergaard aus Dänemark – Bass und dem Schlagzeuger Oliver Steidle das letzte im Foyer des Schauspielhauses sein.
Nach der Spielpause im Juli und August wird es dann am 19. September mit Paul Brody`s "Sadawi" im Forum Gestaltung weitergehen.
Als künstlerischer Leiter der diese Konzertreihe im Schauspielhaus seit 26 Jahren gestaltet und betreut hat, möchte ich es nicht versäumen Danke zu sagen. Zuerst einem wunderbaren, sensiblen Publikum, das mir vertraut hat und sich immer sicher sein konnte, reich beschenkt nach Hause zu gehen, auch wenn die Musiker ihnen unbekannt waren. Mein größter Wunsch ist, mir auch an den neuen Ort zu folgen und mir ihr Vertrauen zu schenken. Und Danke an alle Theaterleute, die hinter den Kulissen für reibungslose Abläufe gesorgt haben, zu Vielen hatte und habe ich ein freundschaftliches Verhältnis. Seit 1983 bin ich dem Magdeburger Theater aufs Engste verbunden und habe in den 33 Jahren schon viele Intendanten kommen und gehen sehen.
Ich bedaure diesen erzwungenen Umzug sehr, denn die Musiker und auch das Publikum haben sich im Theater immer sehr wohlgefühlt. Für mich ist das Theater ein Ort der Hochkultur und hat die Wertschätzung für den modernen, zeitgenössichen Jazz unterstrichen. Diese Musik habe ich immer auch im Kontext mit den kammermusikalischen Konzerten der Philharmonie gesehen, das wurde auch durch den wiederholten Besuch der Musikdramaturgie honoriert. Den sehr hohen Kostendeckungsgrad im Vergleich zu vielen anderen Veranstaltungen möchte ich nicht unerwähnt lassen. Gefreut habe ich mich besonders, wenn immer wieder Musikerkollegen, auch aus der Philharmonie im Publikum saßen. Niemand, mit dem ich sprach versteht diese Entscheidung der Intendanz.
Vor einigen Monaten schon, als ich zum ganz regulären Termin ins Theater ging um, wie auch sonst immer seit 26 Jahren, meinen Vertrag über das Management der Reihe zu verlängern, wurde mir eröffnet, das diese Jazzkonzertreihe vom Theater nicht weiter gewollt ist. Auf genauere Nachfrage hin hatten die Intendantin Frau Stone, der Vizeintendant Herr Sickel und die Schauspieldirektorin Frau Crombholz einhellig beschlossen, „das es keinen zwingenden Grund gibt“ diese hochkarätige, internationale Reihe weiterzuführen. 2011 versuchte Frau Stone schon einmal diese Reihe auf 4 Konzerte im Jahr zu reduzieren, ich war selbst überrascht, wie viel Zuspruch und Unterstützung von den Kultureinrichtungen, aus der Stadt, auch ganz offiziell, und überregional, ja sogar international kam, was letztendlich die uneingeschränkten Fortführung bedeutete. Nach wie vor steht im Spielplan des Theaters, das dies eine der ältesten und beliebtesten Konzertreihen der Stadt Magdeburg ist.
Nun aber freue ich mich auf einen neuen, inspirierenden, geistvollen Ort, auf das „Forum Gestaltung“, in der Brandenburger Straße, ganz nahe am Hauptbahnhof.
Gemeinsam mit Norbert Pohlmann, Geschäftsführer des Forum Gestaltung, verfaßte Warnfried Altmann einen offenen Brief zum Ende von Jazz im Schauspielhaus und zum Neubeginn von
Jazz in der Kammer im
Forum Gestaltung Magdeburg, den er auf der Bühne verlas. Darin heißt es:
Magdeburg und Jazz – es scheint eine reizend ambivalente Beziehung, allein sie wird lebendig bleiben, solange es Menschen gibt, die ihr Abgestorbensein beklagen würden.
Das, was wir zur Motivation zur Vorbereitung der ersten „Magdeburger Jazztage“ sagten, die im April dieses Jahres so erfolgreich die Stadt jazzten, ist uns auch jetzt Grundlage fürs Weitermachen: Wir brauchen diese Kunst, die inspirierende, nie oberflächliche Mischung aus freiheitsbewusster Individualität und kollektivem Miteinander, das Weltbürgerliche. Und wollen der Freiheit des Jazz, der Kunst des Einzelnen im gemeinschaftlichen Spiel und dem gemeinsamen Erleben weiterhin, kontinuierlich ein Podium in Magdeburg bieten.
„Jazz in der Kammer“ wird es zukünftig im Forum Gestaltung geben, wieder jeden dritten Montag im Monat. Dauerhaft. Aber nur (keine „Drohung“, sondern Realitätssinn in Zeiten Kulturverluste in Kauf nehmenden Handelns) wenn Sie, das Publikum, sich beteiligen. Denn anders als das Theater kann das Forum Gestaltung als privat organisierter, nicht institutionell geförderter Kunst- und Kultur-Verein keinen „Haushalt“ aufstellen, sondern muss für die Vorhaben jeweils (in der Regel viele verschiedene) Quellen erschließen. Und eine, materiell wie motivational sehr wichtige, sind die (nachfragenden) Zuschauer. Gemeinsam sollte es gelingen, die ebenso langjährige wie einzige Jazz-Konzert-Reihe in der Stadt fortzusetzen. An neuem Ort, dessen alte Geschichte so ambivalent ist wie die oben beschriebene Beziehung und dessen Genius loci beste Voraussetzungen bietet für die Kunst, Kultur zu gestalten.
Warnfried Altmann dankte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Schauspielhauses, die die Konzerte bisher unterstützt haben, den Technikern an Licht und Ton, den Mitarbeitern an der Garderobe und dem Einlaß und denen, die die Künstler unterstützt haben. Und er lud das Magdeburger Jazz-Publikum herzlich dazu ein, ab September zu
Jazz in der Kammer ins Forum Gestaltung zu kommen. Und er bat darum, die Änderung des Ortes auch im Freundes- und Bekannten weiterzusagen.
Im Forum Gestaltung findet
Jazz in der Kammer wie gewohnt von September bis Juni immer am dritten Montag im Monat um 20 Uhr statt. Das nächste mal am 19. September, dann mit Paul Brody`s "Sadawi".
Nach dem Konzert bekam Warnfried Altmann von vielen langjährigen und treuen Besuchern der Reihe Dank und Zuspruch – und viele gute Wünsche für das Fortbestehen an neuer Stelle.
Kommentar
Jazz in der Kammer, später Jazz! Entdeckungen im Schauspielhaus, ist eine Konzertreihe, die inzwischen sowohl beim Publikum als auch bei den Musikern etabliert ist. So etwas schafft man nicht "einfach so" und "auf Fingerschnipp". Das Magdeburger Jazz-Publikum weiß inzwischen, daß man auch ohne die Musiker vorher zu kennen bei "Jazz in der Kammer" immer neue und frische Musik abseits des musikalischen (Jazz-)Mainstreams geboten bekommt. Auch deshalb gewann die Reihe zuletzt immer wieder neue Zuhörer. Solch ein Vertrauen aufzubauen, braucht lange Zeit und viel Erfahrung. Um so unverständlicher die jetzt getroffene Entscheidung der Theaterleitung. Nicht umsonst heißt es in der Technik "never change a running system" und im Sport "never change a winning team". Wenn es tatsächlich keinen zwingenden Grund für die Fortführung der Jazz-Reihe im Schauspielhaus geben sollte – angesichts der Bekanntheit der Reihe gibt es erst recht keinen zwingenden Grund für das jetzt verkündete Ende. Es sei denn, man wollte mit Macht den letzten verbliebenen Rest der einstigen Freien Kammerspiele aus dem jetzigen Schauspielhaus heraus bekommen. Aber da sei ein Schelm, wer Böses dabei denkt, denn vermutlich kennt die jetzige Leitung des Theaters die Freien Kammerspiele gar nicht mehr, die mit Reihen wie Kammer im Kino, Jazz in der Kammer oder auch dem jährlich an neuer Stelle stattfindenden Sommertheater Kammer Open Air frischen Wind in die Magdeburger Theaterlandschaft brachten.