Am 71. Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs fand im
Forum Gestaltung ein Konzert statt zum Gedenken an die Bombennacht des 16. Januar 1945, aber auch an die erste Zerstörung Magdeburgs im Dreißigjährigen Krieg am 10. Mai 1631.
Mitwirkende waren:
Neuer Magdeburger Kammerchor unter der Leitung von Christian Hoffmann,
Warnfried Altmann (sax)
Hermann Naehring (dr, perc)
Trio Fisarmonica (Christian Waltenberg, Frances Twardoch, Marius Beier, acc)
Der Satz "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg", der dem Konzert seinen Titel gab, stammt bereits aus dem Jahr 423 v.u.Z., aus einem Schauspiel des antiken Dichters Aristophanes. An Gültigkeit und Aktualität hat er indes nichts verloren und ist – leider – über alle Zeiten hinweg von universeller Gültigkeit geblieben. So ist das jährliche Konzert am 16. Januar Gedenken und Mahnung zugleich.
Die Bühnenscheinwerfer tauchten das Foyer des Forum Gestaltung in einen Schein aus feuerrotem und flammengelben Licht. In diese bedrohlich-düstere Lichtstimmung hinein klangen erst einzelne Glockentöne aus Hermann Naehrings Schlagwerk, gefolgt von bedrohlichen Klängen aus Warnfried Altmanns Saxophons. Die Töne und Geräusche, die dann erklingen, mögen sich nicht zu Melodien formen, bleiben unbestimmt und unterstützen in ihrer Zusammensetzung die bildlichen Vorstellungen der Besucher – die wohl jeder im Kopf hat als Bilder von Krieg und Zerstörung, Bilder aus alten Filmen oder aus neuesten Nachrichten.
Als dann der Chor einsetzt, geschieht das mit einem erst leisen, dann immer stärker werdenden Stimmwirrwar, aus dem immer deutlicher der
Name einer Stadt vernehmbar wurde: Magdeburg. Stimmen, wie sie von Mund zu Mund
eine Nachricht weitergeben, das Entsetzen über das Ungeheuerliche und das noch-nicht-wahrhaben-wollen ausdrückend. Das anschließende Introitus eines Requiems (Requiem aeternam... Herr, gib ihnen die ewige Ruhe), unterstrichen durch mächtige Paukenschläge und Beckengetöse, erschien wie eine Bekräftigung der Nachricht. Der Chorgesang wurde im Versuch, mit dem Kriegslärm des Schlagzeugs mitzuhalten, immer lauter, brach dann unmittelbar ab. Dieser Wechsel zwischen laut und leise, mehrfach eingesetzt, erzeugte eine ungeheure Dynamik, zumal auch aus dem gespannt lauschenden Publikum keinerlei Geräusch zu hören war.
Kamen die Klänge des Krieges zunächst von den Rhythmusinstrumenten, so wurde das vom Akkordeon-Trio mit den "Sounds of war" von
Józef Wojtarowicz fortgesetzt – mit einer riesigen Bandbreite an Tönen und Klängen, die weit über Töne, Akkorde und Melodien hinausgehen. Die drei Musiker ließen ihre Instrumente atmen und zischen, seufzen und singen. Das Stück des polnischen Komponisten sah Chorleiter Christian Hoffmann auch als zentrales Element des diesjährigen Gedenkkonzertes an. "Um dieses Stück herum habe wir die Interpretation des Chores und die Improvisationen der anderen beiden Musiker angeordnet und darauf abgestimmt". So war auch der Chorgesang in weiten Teilen des Konzertes durch das Formen von Klangflächen bestimmt, durch stimmlich geprägte Melodien, die ohne förmlichen Text auskamen. Damit wurde der Chor selbst zum Instrument, das in Zusammenspiel und Wechselwirkung mit dem Saxophon und mit dem Schlagwerk des Klangkünstlers Naehring stand. Wieder mehr durch Text bestimmt war dann die beeindruckende Interpretation von Rudolf Mauersbergers Motette "Wie liegt die Stadt so wüst" durch den Neuen Magdeburger Kammerchor, die auf biblischen Texten beruhend das Grauen im Angesicht einer in Trümmern liegenden Stadt beschreibt. Kreuzkantor Mauersberger komponierte das Chorwerk im Jahr 1945, unter dem Eindruck der Zerstörung Dresdens, das einen Monat nach Magdeburg dem Bombenkrieg zum Opfer fiel.
Das Konzert beendete der Chor mit einem Rezitativ, mit dem Gedicht "Flammentropfen" des türkischen Dichters Zafer Senocak:
Ein Flammentropfen sucht ein Versteck
kreiselnd in der Luft
öffne ihm dein Hemd
bevor die Wolke
die um die Erde kreist
auch über unser Land zieht.
Ein Gedicht in düster-prophetischer Ausstrahlung. Für Magdeburg kam damals die Hoffnung zu spät, jemand könne die Flammen noch einfangen.
Als das Konzert beendet war, blieben die Künstler auf der Bühne noch lange schweigend stehen, das Publikum reglos sitzen. Ein gemeinsames stilles Innehalten, Zeit des Gedenkens an die Toten des nun 71 Jahre zurückliegenden Krieges und aller aktuellen Kriege. Auch abgesehen vom historischen Anlasses bleibt von dem 2016er Gedenkkonzert die Leistung aller Künstler in Erinnerung, die ihre Instrumente und Stimmen zu einem großen und beeindruckendem Klangbild vereinten.
Kurz nach dem Ende des Konzertes, um 21:28, als am 16.01.1945 die Bombardierung Magdeburgs begann, läuteten alle Glocken der Stadt mit mahnendem Ruf: nie wieder Krieg!
|
Schweigendes Gedenken unter Glockengeläut,
um 21:28 Uhr auf dem Magdeburger Domplatz |