Montag, 16. Januar 2023

Konzert zum Gedenken an die Zerstörung Magdeburgs

Magdeburg wurde zweimal nahezu vollständig zerstört, erst im 30jährigen Krieg und dann am 16. Januar 1945. Ein Konzert mit Lesung und Videocollage erinnerte daran.

Warnfried Altmann – Saxophon
Hermann Naehring – Schlagwerk
Mohamad Issa – Rezitation

"Ich bin inzwischen etwas ratlos, wie wir mit dem Thema umgehen sollen", kündigte Norbert Pohlmann vom Forum Gestaltung das Konzert an, "mit dem Thema eines Gedenk-Abends, den wir vor etwa 20 Jahren in dieser Form begonnen haben. Damals war es ein Zeichen gegen die Nazis, die das Kriegsgedenken für sich nutzen wollten. Die Nazis sind jetzt zwar nicht weg, aber der Krieg ist wieder da. Wir reden so viel über Ausstieg aus allem. Ich bin der Meinung, dass man auch aus einem Krieg aussteigen kann. Kriege sind vermeidbar".

Am Beginn des Konzertes trug Mohamad Issa, der nach dem Krieg in seiner syrischen Heimat nach Magdeburg kam, ein Gedicht vor. "Es geht darin unter um einen Krieg, der schon längst aus unserer Wahrnehmung verschwunden ist. Diesmal haben wir auf eine Übertragung ins Deutsche verzichtet", sagte Norbert Pohlmann (diese hatte er in den Vorjahren jeweils im Anschluss vorgetragen), "denn dann müssten wir den Text eigentlich in so viele Sprachen übersetzen, unter anderem auch in die ukrainische". Im melodischen Ton der arabischen Sprache waren für den nicht sprachkundigen Zuhörer zumindest Ortsnamen wie Magdeburg oder Mariupol herauszuhören. Der Krieg kennt viele Orte. Das Leid ist universell.

Allmählich, ganz sacht, legen Hermann Naehring leise Klänge seines Schlagwerks und Warnfried Altmann seines Saxophons über die gesprochenen Worte. Auf der Leinwand erscheinen da schon die ersten Bilder, Namen mit Lebensdaten, die 1945 enden. Aber jeder Krieg, jede Zerstörung hat ihre Vorgeschichte. Josef Goebbels Rede vom 18. Februar 1943 aus dem Sportpalast war Bestandteil der Filmcollage, mit seinem Aufruf zum totalen Krieg, der totaler werden sollte als alles je vorstellbare. Und auch Ernst Barlachs Antikriegsmahnmal aus dem Magdeburger Dom, dessen Entfernung von den Nazis schon 1934 gefordert und durchgesetzt wurde. Eingeblendet auch das damalige Schreiben der SA-Führung, in einer Sprache wie man sie heute von Bernd Höcke hören kann, wenn er von einem Mahnmal der Schande spricht. Wie sich doch die Bilder gleichen, wie sich die Sprache gleicht. Ebenfalls eingeblendet der Erlass zum Abtransport der Magdeburger Juden vom 22. Februar 1943, mit einer Liste mitzunehmender Gegenstände, einschließlich "Verpflegung für 3 Tage" – für viele die letzte Lebensfrist.

Altmanns und Naehrings Musik ist teils Interpretation, teils Kommentierung der Filmbilder, bei denen auf Wochenschaufilme der Rüstungsproduktion – auch aus Magdeburg – Kampfszenen an Land, in der Luft, mit fallenden Bomben und Jagdfliegern, und zur See folgen, im Anschluss dann Aufnahmen nächtlich verdunkelter Städte mit den als "Christbaum" bezeichneten Zielmarkierungen und den aufleuchtenden Lichtpunkten von Explosionen und Bränden. Dazu ertönt ein laut schreiender Klagegesang von Warnfried Altmann, erst gesungen, dann auf dem Saxophon geblasen. Mit seinem großen Instrumentarium unterschiedlichster Trommeln bis hin zur riesigen Taiko-Trommel, die zum Finale erklingt, Becken und Glocken bringt Hermann Naehring die Geräusche in den Film, vom Drönen der Hämmer, dem Klang der Marschtrommeln bis hin zum Totenglöckchen.

Am Schluss des Films sind Luftaufnahmen des zerstörten Magdeburg zu sehen, von einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug nach Kriegsende gefilmt. Erkennbar sind Dom, Ulrichskirche und das Otto-von-Guericke-Denkmal. Und die zerstörten Elbbrücken, deren Reste im Fluss liegen. 

Die Zerstörung Magdeburgs ist konkreter Anlass für Film und Konzert. Magdeburg steht dabei als Gleichnis für viele zerstörte Städte. Das Leid vor allem der zivilen Bevölkerung gleicht einander, egal ob es Menschen in Rotterdam, Coventry, Magdeburg, Hiroshima oder Mariopol sind. Die vielen Berichte über die Terror-Angriffe der russischen Truppen auf ukrainische Städte und zivile Infrastruktur brachten mich zuletzt auch zum Nachdenken darüber, dass Angriffe auf die Zivilbevölkerung immer Terror sind. So ist eben auch meine eigene Wahrnehmung immer im Wandel. Bei demselben Konzert vor einem Jahr war mir das noch nicht so klar.


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