Montag, 21. März 2022

Pisarović und Dörner: Sevdah

Ich kann gar nicht genau sagen, was mich mehr beeindruckt hat – Vesna Pisarovic mit ihrer klaren kräftigen Stimme oder Axel Dörner mit seiner von Elektronik begleiteten Trompete.  Jedenfalls war das Konzert ein minimalistisches, mit einer auf das minimal mögliche reduzierten Begleitung des Gesangs durch nur ein Instrument. 

Vesna Pisarović – Gesang
Axel Dörner – Trompete, Elektronik

Das Konzert beginnt mit Windgeräuschen: Axel Dörner bläst mit etwas Abstand auf sein Trompetenmundstück, lässt nur die strömende Luft tönen. Fügt dann sirenenartige Glissandotöne hinzu, indem er das Rohr seiner Firebird-Trompete bewegt, dieser eigenartigen und seltenen Mischung aus Trompete (mit Ventilen) und Posaune (mit beweglichem Zug). Und als wäre das nicht genug an ungewohntem Instrumentarium, hat er seitlich noch ein Konstrukt aus elektronischen Dreh- und Schiebereglern aufgesteckt. Aus der Elektronik kommen gesampelte Maschinenklänge hinzu, oder Sounds, wie sie die Älteren unter den Zuhörern an Töne des Kurz- oder Mittelwellenempfängers noch kennen, wenn man abends am Radio den richtigen Sender suchte. 

Als Axel Dörner nochmals seine durchdringenden Töne erklingen lässt und Vesna Pisarović auf die Bühne kommt, beginnt ein interessantes Zwiegespräch zwischen Instrument und Stimme. Vesna Pisarović nimmt mit klarer hoher Stimme die Tonfolgen auf, wiederholt und variiert sie. Die Stimme als Instrument und ein Beispiel für das, was Saxophonist Warnfried Altmann bei seiner Anmoderation des Abends sagte "Wir Instrumentalisten versuchen, mit den Instrumenten zu singen. Aber das schönste Instrument ist wohl doch die menschliche Stimme, mit dem Körper als Resonanzraum." Ein harmonisches Miteinander wäre allein eher langweilig, bei den beiden Musikern unterstützt die Trompete mal den Gesang, mal bildet sie einen schreienden Gegensatz. Die so an vielen Stellen spürbare Aggressivität hat etwas faszinierendes – die Stellen mit Trompete und Stimme unisono im Gleichklang aber auch. 

Mit seinem elektronischen Zusatzteil mit den Reihen von Drehknöpfen und Schiebereglern variiert Axel Dörner die elektronischen Sounds, die sein Computer generiert. Es sind nicht einfach nur Töne, wie sie ein Synthesizer erzeugt oder gesampelte Klänge auf einem Pad. Auf seinem Computer arbeitet eine KI, eine künstliche Intelligenz, die auf seine Änderungen der Regler reagiert. "Man weiß nie ganz genau, was die Maschine macht", sagt er. Für ihn steht das auch stellvertretend dafür, "wie Maschinen das Leben bestimmen". Als ich nach dem Konzert auf dem Bildschirm blicke, sehe ich dort mit Linien verknüpfte Icons, ähnlich dem, wie am Computer in technischen Geräten arbeitende neuronale Netzwerke (die ich auch nie ganz verstanden habe) dargestellt und programmiert werden. 

Die Lieder, die Vesna Pisaravić für das Programm zusammengestellt hat, beruhen auf alten Volksliedern, oft mit traurigen und melancholischen Texten. So wie ein Lied aus dem 15. Jahrhundert von jemandem, der vor seinem Tod die Schönheit der Welt besingt. Oder ein Lied über einen Drachen, der ein Mädchen entführt. "Niemand weiß wohin. Und ob sie glücklich ist mit dem Drachen", sagt sie über das Lied. Dörner erzeugt auf Trompete und Elektronik eine lautmalerische Begleitmusik. Bedrohlich knurrt der Drache, faucht und schnauft. Dramatik pur, in Gedanken sieht man einen Film vor sich vom Kampf mit dem Drachen. Am Ende steht leiser Gesang. Vielleicht ist "glücklich, aber einsam" die Antwort, wie es dem Mädchen geht.

Das Programm endet mit "some completely different", wie Vesna Pisaravić sagt, und tatsächlich mit ganz anderer Musik als zuvor. Jazzgesang zur Trompetenbegleitung, eine interessante (und sehr harmonische) Neuinterpretation von Thelonious Monks "Mistiroso", mit einem  stetig leicht variierten auf und ab von Tönen im Sexten-Abstand. 

Beide Musiker waren in anderer Besetzung bereits in Magdeburg zu hören. Vesna Pisarović vor vier Jahren in Warnfried Altmanns Weltmusik-Reihe "Freie Klänge" und Axel Dörner vor fünf Jahren hier bei Jazz in der Kammer. Auf die Frage, wie die aktuelle Zusammenarbeit zustande kam, antwortete mir Vesna Pisarović: "Ich mag Axels Art, über Musik zu denken". Dann kamen die Corona-Einschränkungendazwischen, so dass sie seit 2020 nur wenige Konzerte gemeinsam spielen konnten. 


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