Montag, 16. Januar 2017

Gedenkkonzert

Heute fand im Rahmen von Jazz in der Kammer ein Konzert unter dem Titel "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg" statt. Der 16. Januar ist der Gedenktag der Zerstörung Magdeburgs im Jahr 1945. Warnfried Altmann und Hermann Naehring  stellten diesen Anlass in den Mittelpunkt ihrer Musik, unterstützt von Mohamad Issa.
Warnfried Altmann – Saxophon
Hermann Naehring – Schlagwerk, Percussion
Mohamad Issa – Lesung

Warnfried Altmann, Organisator von Jazz in der Kammer, stand selbst auf der Bühne. So war es diesmal Norbert Pohlmanns Aufgabe, die Besucher des Konzerts zu begrüßen. Er erinnerte daran, daß seit Bestehen des Forum Gestaltung an jedem 16. Januar ein Gedenkkonzert anläßlich der Zerstörung Magdeburgs im Jahr 1945 stattfindet. Diesmal fiel dieser Jahrestag auf den Termin von Jazz in der Kammer. „Ziel unserer Gedenkkonzerte war immer, den Rechten etwas entgegenzusetzen, die diesen Tag für ihre Zwecke mißbrauchen wollen“, sagte Pohlmann.

In vielen der vergangenen Jahre wurde zur Musik eine Kollage von Filmbilder aus Rüstungsproduktion, Krieg und dem zerstörten Magdeburg gezeigt, die der Musik eine sichtbare Aussage gab. „Wir haben in diesem Jahr auf diesen Film verzichtet“, erklärte Norbert Pohlmann. „Die Menschheit bekommt heute mit den täglichen Live-Bildern jeden Tag einen Gedenktag gegen den Krieg“, sagte er und fügte hinzu: „Es geht schon längst nicht mehr um political correctness, sondern um human correctness.“ In Anlehnung an ein bekanntes Luther-Zitat gab er den Musikern und Konzertbesuchern die Hoffnung mit: „Und noch ist es nicht zu spät, einen Apfelbaum zu pflanzen.“ Und dennoch gibt es Gegenden, in denen auch heute die Welt untergeht, alles zerstört wird: "Wir erinnern mit unserem Konzert nicht nur an die Zerstörung Magdeburgs, sondern auch an die Zerstörung Aleppos", sagte Pohlmann. Und stellte Mohamad Issa vor, der aus Syrien nach Deutschland gefüchtet war und nun in Magdeburg lebt. Zur Musik von Warnfried Altmann und Hermann Naehring las er Gedichte.

Hermann Naehring begann das Konzert mit hellen Glockentönen, denen er einen riesigen Gong mit dunklem metallischen Dröhnen überlagerte.Warnfried Altmann stimmte mit seinem Saxophon in diese düstere Stimmung ein. Wenige langsame Tonfolgen reichten, um in der Musik der Klage über den Krieg Ausdruck zu verleihen. Später brachte Naehring auf seiner Marimba eine beinahe fröhliche Farbe ins Konzert, brachten mit ihrem rhytmischen und schnellen Takt Lebendigkeit, vielleicht das immer weitergehende Leben einer Großstadt. Dazu wilde Jazz-Klänge auf Altmanns Saxophon, als exzessiver Tanz, sich bis zu einem einzigen schrillen Aufschrei steigernd. Dann plötzlich: Stille. Gespenstisch.

Auf die Musik folgten von Mohamad Issa gelesene arabische Texte: Gedichte in einer uns fremden Sprache. Es gibt keine Übersetzung, einzig am Klang der Stimme sind Reime zu erkennen. Allmählich läßt sich das Ohr auf die Sprache ein, eine Sprachmelodie scheint erkennbar zu werden. Ist das Erzählung, Protest, Anklage? Später wird Norbert Pohlmann erläutern, warum es die Texte nur auf arabisch gab, ohne eine Einführung in den Inhalt, ohne Übersetzung: "Wir haben bewußt darauf verzichtet, die Texte und Gedichte zu übersetzen", sagte er. "Wir wollten zeigen, daß es auch so geht, daß man sich in eine Fremde Sprache auch vom Gefühl her einhören kann. Und wir wollten zeigen, wie es sich anfühlt, den Menschen gegenüber nicht zu verstehen – so wie es den meisten Flüchtlingen hier geht."

Im nächsten Set zauberte Hermann Naehring mit seinem riesigen Instrumentarium. Anders mag man es kaum nennen, wenn er die Vielzahl von Glocken, Schellen, Becken, Gongs, Trommeln und Rasseln scheinbar spielerisch miteinander kombiniert und ungeahnte Klänge entstehen läßt, zart und leise. Später greift er zur Rahmentrommel und aus Rhytmus und Altmanns Sopransax werden orientalische Klänge, die die nächste Lesung Mohammed Issas begleiten. Was da entsteht, klingt wie eine Ballade, deren Inhalt man gern verstanden hätte.

Nach kräftige Tönen kommt wieder das Marimbaphon zum Einsatz. In diesem Konzert freut sich das Ohr über alles sanfte, leise. Hier ist es ein leiser Bachchoral, den Naehring spielt. Doch die Ruhe bleibt nicht lange. Altmann läßt sein Saxophon laut tönen, läßt es schreien, schnalzen, knacken. Eine intensive Musik voller Schmerz, voller Aggressivität. Nichts bleibt zum Ausruhen übrig. Dem regelmäßiger Besucher der frühere Konzerte kommen unweigerlich die früher gezeigten Filme in den Sinn, deren schwarzweiße Bilder alter Wochenschauen im Gedächtnis ihre Spuren hinterlassen haben, Spuren von Zerstörung, Tod und Auferstehung. Naehring spielt ein Solo am Schlagwerk, das er nochmal wie eine Maschine klingen läßt, wie ein Uhrwerk, das den Lauf der Zeit als Mechanismus in Gang setzt, erst zum leisen Rascheln des Regenmachers langsamer wird und wie in leisen Regentropfen verklingt. Aus der Stille klingt auf der Marimba die Melodie von "What a wonderful world" an, scheint einen versöhnlichen Ausklang anzudeuten. Und doch wird der Text voller Harmonie und Frieden auch zum letzten mal von Altmanns Saxophon konterkariert, seine Disharmonien zeigen: die Welt ist nicht so schön wie sie manchmal scheint.

Am Schluß steht ein Gedicht  Mohamad Issas, aus dem plötzlich vertraute Namen herauszuhören sind. Otto, Editha, Otto von Guericke, Norbert... Hinterher erklärte er, in diesem Gedicht die Dankbarkeit über seine neue Heimatstadt verabeitet zu haben. Auch den Inhalt seiner anderen Texte stellt er nach dem Konzert dar. Der Verlust der Heimat, der Verrat am syrischen Volk, spielten darin eine große Rolle.

Über sich selbst erzählte Mohammed Issa nach dem Konzert, daß er schon seit 18 Monaten in Deutschland lebe und in Syrien als Mathe- und Physiklehrer arbeitete. Zur Zeit absolviert er im Forum Gestaltung ein Freiwilliges Soziales Jahr. Dabei hat er auch bereits einige mal in den dort beheimateten Freien Kammerspielen eine Rolle übernommen. Ausgerechnet in "Nathan der Weise", dem Schauspiel, das vom Zusammenleben der Kulturen handelt. 

Dem Forum Gestaltung ist nach den Projekten der Vorjahre wieder ein interessantes Konzert gelungen, das sich in Musik und Sprache mit Krieg und Zerstörung auseinandersetzte. 


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