Montag, 19. Dezember 2022

Mars Williams: An Ayler X-Mas

Heute, kurz vor Weihnachten, wurde es auch auf der Magdeburger Jazzbühne weihnachtlich. Was nicht in jedem Jahr der Fall ist, denn nicht immer ergibt sich diese jahreszeitliche Übereinstimmung. Dass es keine kitschigen Weihnachts-Dudel-Klänge wurden, sondern eher bei Freunden des Free Jazz weihnachtliche Gefühle aufkamen, dafür sorgten die kräftigen Klänge der Musiker, die Mars Williams mit nach Magdeburg brachte.

Mars Williams – Arrangements, Percussion, Toy Instruments
Matthias Schubert – Saxophon
Thomas Berghammer –  Trompete
Knox Chandler – Gitarre
Christian Svendsen – Bass
Klaus Kugel –Schlagzeug

Wenige Minuten vor Beginn des Konzertes sah man Konzert-Organisator Warnfried Altmann mit einem Gitarrenverstärker durch die Gänge des Forum Gestaltung eilen. Der Verstärker von Knox Chandler funktionierte nicht, Ersatz musste her. "Ich kenne ja einige Gitarristen", sagte Altmann, "aber die muss man erst mal ans Telefon bekommen und dann müssen sie auch noch zu Hause sein". Letztlich erreichte er gerade noch rechtzeitig Jörg Rattai, fuhr quer durch Magdeburg und das Konzert konnte pünktlich beginnen. "Das Konzert sollte bereits früher stattfinden, es wurde wegen Corona zweimal verschoben, jetzt beim dritten Mal können wir es endlich hören", kündigte Warnfried Altmann die Musiker an. "Ihnen werden die Ohren ordentlich durchgepustet, ich glaube wir werden heute alle glücklich nach Hause gehen."

Dass Warnfried Altmann nicht zuviel versprochen hatte, merkte man gleich zu Beginn. Dass "Vom Himmel hoch" hinter den Improvisationen stand, war zwischen Speed Marsch und punkig-krawalligen Klängen nur zu erahnen. Aber das machte zugleich Spaß: zwischen all den kräftigen Klängen und schrägen Tönen die Strukturen und Weihnachtsmelodien (schließlich ist es ein X-Mas-Programm) herauszuhören. Das war keine bloßen Jazz-Versionen von bekannten Weihnachtsliedern, das waren echte Neuerfindungen, für die die traditionellen Melodien nur Inspiration und Stichwortgeber waren. Das Kontrastprogramm zum Fest!

Bandleader Mars Williams konnte wegen einer Verletzung nicht selbst Saxophon spielen und beschränkte sich auf Percussion und divers Spielzeuginstrumente, deren Töne immer wieder in die Musik gemischt wurden. Für das Saxophon hatte Matthias Schubert engagiert. Die kräftigen Bläsertöne von Matthias Schubert und von Thomas Berghammer an der Trompete fanden ihren Widerhall in der extremst verzerrten Gitarren von Knox Chandler, dazu der kräftige Bass von Christian Svendsen und Schlagzeug und Percussion von Klaus Kugel, der bereits einigemal in Magdeburg zu hören war.

Knox Chandlers Gitarre konnte auch mal ruhig, zart und hell klingen - aber bevor es zu sanft wird, verfremdet und übersteuert er die Töne so sehr, dass es die Ohren kaum aushalten, vor allem in Verbindung mit den Bläsern. Ich möchte raus aus der Lautstärke - und bin zugleich fasziniert von einer Musik, bei der die Weihnachtslieder so klingen wie die US-Nationalhymne in der Version von Jimmy Hendrix. Bei "Jingle Bells" lässt Christian Svendsen seinen Bass wie eine singende Säge klingen und bei "Jingle Bells" hören sich die beiden Bläser, beinahe unisono spielend und nur um eine winzige Nuance voneinander abweichend wie eine serbische Blaskapelle an. Bei den "Zwölf Tagen der Weihnacht" gab es aber auch sehr lange und ruhige Sax-Solo-Passagen und auch an anderen ruhigeren Stellen kann man tatsächlich alte Weihnachtschoräle hören. 

Es gab einen kleinen Teil des Publikums, dem die ungewohnten Weihnachtsklänge zu heftig waren und der bereits in der Pause ging. Die hatten dann allerdings einen zweiten Teil verpasst, der ganz anders, ruhig begann: mit einem 15(!)minütigen Bass-Solo, bei dem Christian Svendsen seinen Bass überwiegend als Percussion-Instrument nutzte, mit Fingern, Händen und Bogen auf die Saiten und den Körper des Instruments klopfte und trommelte und nur ab und zu die Saiten zupfte oder strich. Das muss man erst mal hinbekommen, dass dann auch das Publikum dabei bleibt (das Magdeburger Jazz-Publikum war auch hier ein sehr aufmerksames). 

Mitunter waren auch im zweiten Set die musikalischen Ursprünge nur sehr schemenhaft erkennbar, man konnte nur raten (War das eben etwa "Maria durch ein Dornwald ging"?), aber letztlich kam es nicht so sehr darauf an, sondern eher auf das Gefühl der Musik. 

Die beiden Sets wurden jeweils am Stück durchgespielt. Die von den Musikern danach noch verlangte Zugabe begann mit einem einzigen großen Klang aller Instrumente und hatte trotz der Lautstärke etwas meditatives. 

Mars Williams versteht sich mit seinem Xmas-Programm selbst als Arrangeur, der die Musik des amerikanischen Saxophonisten Albert Ayler mit Weihnachtsmelodien verbindet. Gestartet hatte er sein Weihnachtsprojekt vor zwölf Jahren in Chicago. "Dabei habe ich aber nicht nur Weihnachten im Sinn, sondern auch Chanukka", sagte er mir nach dem Konzert. "Und beim Konzert heute gab es für mich die neue Erfahrung, nicht als Saxophonist die Band zu leiten, sondern tatsächlich als Dirigent".


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