Heute gab es bei Jazz in der Kammer ein mehrfach außergewöhnliches Konzert: seit Monaten der coronabedingten Schließung aller Kultur (von der Jazz in der Kammer ebenso betroffen war wie die Magdeburger Jazztage) gab es endlich wieder live-Musik. Aber in einer ungewöhnlichen Form: zwar Live, aber nur im Stream zu erleben. Ebenfalls ungewöhnlich: das Konzert, über das Ihr hier etwas lest, könnt Ihr parallel auf Youtube nachhören. Also beinahe live: virtuell live. Dass der Konzerttermin völlig außerhalb der gewohnten Reihe lag, am zweiten Mittwoch statt am dritten Montag des Monats hat da eher nur anekdotischen Charakter.
Pablo Held (p)
David Helm (b)
Fabian Arends (perc)
Johannes Ludwig (sax)
Leo Huhn (sax, Live-Elektronik)
Sebastian Gille (sax)
Uli Kempendorff (sax)
Steffen Schorn (sax)
Chris Mehler (trp)
Bastian Stein (trp)
John-Dennis Renken (trp, Live-Elektronik)
Matthias Bergmann (trp)
Nils Wogram (pos)
Shannon Barnett (pos)
Moritz Wesp (pos)
Jan Schreiner (pos)
Jürgen Friedrich (comp, leader)
Als Norbert Pohlmann und Warnfried Altmann für eine kurze Begrüßung des Online-Publikums und eine Anmoderation nach vorn kamen, war ihnen die Freude über das Konzert anzumerken. Schließlich war es die erste Veranstaltung der Jazz-Reihe seit mehr als einem halben Jahr Veranstaltungsverbot (das letzte Konzert fand im Oktober 2020 statt, vor 7 Monaten). Aber, wie Norbert Pohlmann sagte: "Corona. diese Naturgewalt, wird es nicht schaffen, so wichtiges wie die Kultur zu zerstören." Er bezeichnete das komplette Konzert als außergewöhnlich. Schon dass es überhaupt zustande kam, dass die Band nach Magdeburg kommen und spielen konnte war alles andere als selbstverständlich. Und Warnfried Altmann fühlte sich "überglücklich" und wies darauf hin "in einer Gesellschaft voller Angst ist diese lebendige Musik etwas, was wir so sehr brauchen".
Am Beginn des Konzertes ("Infra Blue") war nur eine langsame Bass-Melodie zu hören, die allmählich von Posaune und Saxophon aufgenommen wurde, dann kamen Klavier und Flöte hinzu. Ruhig wie am Beginn bleibt es nicht lange, schon bald ergibt sich ein dissonantes Gewirr der Bläserstimmen, aus dem sich nach und nach wieder die ursprüngliche Melodie herausbildet.
Die Mischung aus Bigband-Sound und Free Jazz ist von Jürgen Friedrich schon vom Ansatz her so gedacht. "Das Programm heißt Semisong, weil ich nur die Hälfte der Stücke aufgeschrieben habe, der Rest muss sich so ergeben", erklärt er, und fügt hinzu, "dazu braucht man ganz besondere Musiker". Diese hat er in seinem Ensemble. Viele spielen in eigenen Bands, einige sind in anderer Besetzung auch schon bei Jazz in der Kammer aufgetreten. "Viele der Musiker sind auch schon lange meine musikalischen Weggefährten".
Nach der Pause gab es ein Elektronik-Zuspiel, bei dem die von Leo Huhn eingespielten Loops dem Stück die Struktur vorgeben. Die Bläser nehmend den Rhythmus auf und begleiten ihn mit kurzen Tonstößen. Dadurch bekommt das Stück ("Weave") etwas vom Rhythmus von Maschinen, könnte Stummfilm-Begleitung von Metropolis sein.
Zu einem Titel ("Blauen") erzählt Jürgen Friedrich den Hintergrund: Er hörte ein Gedicht (des Berliner Lyrikers Oskar Loerke) mit den Zeilen "Der Himmel fließt in steinernen Kanälen / Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen / Sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen. / Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen". In seinen Gedanken blieb die Vorstellung vom Himmelblauen hänge, und davon kam dann das "Blauen" in den Titel. Musikalisch ergeben sich daraus poetische Klänge von Pablo Helds Piano, die mit Saxophonklängen in Dialog treten. Um dieses musikalische Zwiegespräch herum entwickelt sich dann wieder der Bigband-Sound des Ensembles.
In "Ritus" wird der Klang der Band von den tiefen Windgeräuschen einer Bass-Querflöte bestimmt, später spielt Niels Wogram seine Posaune wie ein Didgeridoo, in seinen Rhythmus stimmen allmählich die anderen Musiker ein.
Mein Fazit von Jazz in der Kammer im Livestream: Das Schauen am Bildschirm, auch wenn es der große Fernseher mit laut aufgedrehtem Ton war, ersetzt nicht das Live-Erlebnis, ersetzt nicht die Konzertatmosphäre, nicht die Reaktionen des Publikums. Und doch: es war wichtig und richtig, dass das Konzert stattfand (es war ein Riesenaufwand, wie Jürgen Friedrich sagte, aber alle haben voll mitgezogen). Aber hoffentlich gibt es schon das nächste Konzert wieder live vor echtem Publikum.
Zuletzt: auch die Fotos, die Ihr hier seht, sind übrigens außergewöhnlich. Nämlich außergewöhnlich schlecht, sorry, weil nur vom Fernseher abfotografiert.
Hier könnt Ihr das Video des Konzerts sehen. Nicht wundern: erst ab ca. 0:14 gibt es Ton.Eine Anmerkung noch: normalerweise notiere ich die Namen der Musiker als Label – dann sind sie in der rechten Spalte auffindbar. Jedoch ist von der Blogging-Plattform die maximale Länge der Label auf 200 Zeichen begrenzt, zuviel für eine so große Besetzung. Sorry.
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