Freitag, 16. Januar 2015

Gedenkkonzert: "Ein wahres Elend der verdammte Krieg"

Mit dem Neuen Magdeburger Kammerchor unter der Leitung von Christian Hoffmann,
Johanna Mohr (sopran),
Warnfried Altmann (sax)
Hermann Naehring (dr, perc)
Friederike Franke

Der bezeichnende Titel "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg" stand schon über vielen Konzerten, die es zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt Magdeburg im Forum Gestaltung gab. Zunächst im Saal und als Begleitung einer Filmcollage über Krieg, Zerstörung und Untergang aufgeführt – nun schon zum zweiten Mal in der Kombination von Chor, Saxophon und Schlagwerk und diesmal mit einer zusätzlichen Solo-Stimme.

Begonnen hatte das Konzert aber mit einer Lesung, aus dem Tagebuch von Lena Muchina. Still wurde es im flammenrot-düster beleuchteten Treppenhaus des Forum Gestaltung, als Friederike Franke Berichte aus dem Kriegswinter 1941/42 las. Berichte einer jungen Frau, die in Belagerung eingeschlossen Kälte und Hunger erlebt – und nach und nach den Tod aller ihrer Angehörigen. Da war nichts von heroischem Heldenmut zu spüren, nur Verzweiflung und Not. "Jetzt bin ich allein", endete der Auszug aus dem Tagebuch. Der Hinweis auf Leningrad als Ort des Geschens war da allenfalls zur historischen Einordnung des Gehörten wichtig, denn so oder ähnlich ging es damals Millionen und geht es auch noch heute. So lenkte Norbert Pohlmann mit seiner Inszenierung des Programm wie schon in den Vorjahren den Blick von der Zerstärung Magdeburg aus in einen größeren Zusammenhang, auf das universelle Leid der Zivilbevölkerung.

Friederike Franke

In die wieder einsetzende Stille mischten sich leise Stimmen, die erst allmählich als die Worte "Nie wieder Krieg" erkennbar wurden. Stimmen der Sänger und Musiker, die langsam das Foyer betraten und sich zu einem Chor formierten, der das "Nie wieder Krieg" in an- und abschwellende Sirenentöne formte. Ein Chor, der wie in der antiken Tragödie das Geschehen und die Gefühle kommentierend zusammenfaßt, ohne selbst eingreifen zu können.

Der Neue Magdeburger Kammerchor
Warnfried Altmann, Johanna Mohr
und Hermann Naehring

Der Chorgesang und Johanna Mohrs darüberliegender Sopran wurden von Hermann Naehrings lautem Schlagwerk kontrastiert, das die Granaten- und Bombenschläge nachbildend den Chor übertönte und in das Warnfried Altmanns Saxophon sich schreiend einmischte. Damit war der Krieg auch musikalisch angekommen.

Im Mittelteil des Konzertes bezogen die Musiker den kompletten Raum in ihre Aufführung ein. Der Chor hatte sich auf der oberen Etage aufgestellt, unsichtbar für die Zuhörer, und sang dort Stücke eines Requiems, während unten Naehring und Altmann spielten. Ein akustisches Experiment, das gleichwohl zu Stimmung und Anlaß des Konzertes paßte, hatten doch die langsam und getragen gesungenen Chorsätze durch den Hall des Raumes etwas erhabenes und zugleich mystisches.

Im dritten Konzertteil stand der Chor wieder auf der Treppe im Foyer und begleitete nochmals Johanna Mohr. Der Chorgesang, von Johanna Mohr gesungene Liedfragmente und von Altmann auf dem Saxophon gespielte Musik, in der man gelegentlich auch ein "Auferstanden aus Ruinen" heraushören konnte, verwoben sich zu einer eigenartigen Mischung, die schließlich mit dem leise ausklingenden "Nie wieder Krieg" des Chores endete.


Anschließend Schweigen, das lange anhielt, ehe das Publikum zögernd Applaus spendete. Zögernd darüber, ob man aus diesem Anlaß überhaupt klatschen darf oder soll. Und in der Tat gab es früher auch Konzerte, in denen das Publikum noch lange still sitzen blieb und erst allmählich und leise herausging.
Nicht lange nach dem Konzert ertönten überall in der Stadt und auch vor der Tür des Forum Gestaltung deutlich vernehmbar die Kirchenglocken, an den Beginn des Bombenangriffs erinnernd, der Magdeburg zerstören sollte.

Bleibt zum Schluß – und nicht zum ersten mal – die Frage, wie man über solche Musik schreiben soll und kann. Darf man ein solches Konzert überhaupt "schön" nennen. Ja, man darf. Es war ein schönes, ein ausgezeichnetes, ein wichtiges Konzert. Und was die Künstler geboten haben, war großartig. Allen voran der Neue Magdeburger Kammerchor, der sich in dieser Musik weit abseits von herkömmlichem Liedgut bewegte.


1 Kommentar:

  1. Bernhard Linseisen17. Januar 2015 um 00:30

    Gut geschrieben! Danke für diesen Bericht!

    Wobei ich die Aussage anzweifle, dass man ein solches Konzert wirklich als "schön" bezeichnen kann. Wirkungsvoll, eindringlich, erschreckend, erschütternd, mahnend, bedrohlich, anregend, musikalisch, einfallsreich - möglicherweise alles Attribute, die der ein oder andere vielleicht gebrauchen würde.

    Aber für mich gehört zu "schön" insbesondere die Hauptsächlichkeit des erfreulichen. Und wenn das Konzert in der Hauptsache erfreulich gewesen wäre, dann - so erlaube ich mir als Mitwirkender ein persönliches Urteil abzugeben - dann hätten wir bei dieser Veranstaltung versagt.

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