Sonntag, 14. April 2019

Baby Sommers Quartetto Trionfale

Ein Schlagzeug-Feuerwerk zum Abschluss der Jazztage: Günter "Baby" Sommer gehörte unbedingt in den Schlagzeug-Schwerpunkt des diesjährigen Programms. Ein großartiges Finale!
Günter „Baby“ Sommer – Schlagzeug/Perkussion
Michel Godard – Tuba, Serpent
Gianluigi Trovesi – Klarinette
Antonio Borghini – Bass
Anatoly Vapirov – Saxophon

Mit einem Urschrei und äußerst heftigen Schlägen auf seine Trommeln beginnt Günther "Baby" Sommer sein Konzert. Die Bläser stimmen ebenso kräftig ein, unisono in ihre Instrumente blasend. Interessant, mit welcher Dynamik Michel Godard die Tuba spielt, dieses riesige Instrument. Immer wieder wiederholen die drei die Melodie dieser Eröffnungsfanfare.

Michel Godard hat nicht nur seine blaue Tuba mitgebracht, sondern auch sein Serpent. Dieses aus dem Ende des 16. Jahrhundert stammende Instrument mit seiner (wie Serpentinen) gebogenen Form, wegen des Mundstücks übrigens ein Blechblasinstrument, wird normalerweise in der Alten Musik eingesetzt. Godard dürfte wohl der einzige Jazzmusiker sein, der den Serpent spielt. (Zufällig war ich vor zwei Jahren in Colmar im Elsaß im Museum Unterlinden, als Godard gerade einem Fernsehteam den dort im Museum ausgestellten Serpent erklärte. Später lief dieser Film auf Arte.) Überraschend warm klingt das Instrument, tiefe Töne fluten den Saal.

Anatoly Vapirov arrangierte ein armenisches Stück für Sommers Quartett. Dass dieses aus der Volksmusik stammt tritt vor den kräftigen Jazzklängen bald in den Hintergrund, bleibt aber immer noch erkennbar.

Als Baby Sommer gemeinsam mit Michel Godard (jetzt wieder an der Tuba)  im Duo spielt, steigern sich beide gegenseitig in Tempo und Kraft. Am Ende klingt die Tuba bei Godard ähnlich wie ein Didgeridoo. Dann macht Baby Sommer eine Pause, sagt den anderen Musikern "jetzt dürft ihr mal allein – was jetzt passiert, passiert jetzt. Eine Welturaufführung". Da erklingen dann melodische Bläsersätze, die auch ohne Schlagzeug kraftvoll sind. Später wiederholt sich das Zusammenspiel von Sommer und  Godard, diesmal um Antonio Borghini am Bass erweitert. 

Zu einigen der Stücke erklärt Baby Sommer den Hintergrund. So auch zu Guiseppe Rampa Saint Luca – angeregt durch einen legendären Gastwirt, in dessen Trattoria die Musiker bei einem Jazzfestival in Clueson (ich fürchte, ich habe diese Namen nicht ganz richtig notiert) einkehrten. "Ein Mann breit wie hoch", beschrieb ihn Baby Sommer. Und der fuhr mit seinem Fiat 500 in die Berge. Das musikalisch umgesetzt: Wow! Man hört, wie der Motor zu schieben hat! Aus dem Zusammenspiel von Baby Sommers Schlagzeug und den drei Bläsern entwickelt sich eine irrsinnig komische Alpensinfonie, mit Blasmusikklängen, die fanfarenartig als Signal wiederkehren und merkwürdig bekannt klingen – steckt da tatsächlich eine kleine Tonfolge aus dem Schlupflied drin?

In der Pause werden Textblätter ausgeteilt. "Marias Totenklage" ist darauf zu lesen. Nach der Pause erklärt Baby Sommer den Hintergrund. "Ich war zu einem Percussion-Festival nach Komenno in Griechenland eingeladen. Den Ort kannte ich vorher gar nicht, auch nicht dessen schreckliche Geschichte. In Komenno verübten Angehörige der Wehrmacht am 16. August 1943 ein Massaker an der Zivilbevölkerung, an Kindern, Frauen, Alten. Ich erfuhr erst am Vorabend des Konzertes durch den Bürgermeister davon. Zuerst fühlte ich mich gar nicht mehr dazu in der Lage, als Deutscher dort zu spielen. Aber abreisen kam auch nicht in Frage. Ich habe dann mein Konzert den Opfern und den Überlebenden gewidmet". Eine dieser Überlebenden war Maria Labri, eine nun schon sehr alte Frau, die damals als Kind zufällig im Nachbarort bei Verwandten war. "Ich habe mir dann von vielen alten Leuten das Schicksal ihrer Familien erzählen lassen. Als ich nach einer Woche abreiste, versprach ich, mich als Botschafter dieses Ereignisses zu verstehen und daran zu erinnern". In der Folge entstanden Baby Sommers Songs for Komenno, aus denen er eines aufführte. Bevor die Musiker zu ihren Instrumenten griffen, spielte Baby Sommer vom Band eine Aufnahme der Klage der alten Frau ab, die sie ihm gesungen hatte. Quälend lange ist die Stimme zu hören, Sommer schlägt dazu in langsamer Folge eine Röhrenglocke. Auch wenn man kein griechisch versteht, hört man doch den Schmerz in der Stimme. Ins Deutsche übertragen liest sich die Totenklage wie ein Stück aus einer antiken Tragödie.
Marias Totenklage
Ach, der Fluch. 
Ach, mein Augenlicht.
Ach, was ist geschehen?
Dieser blutige Tag, der 16. August. 
Das Morgengrauen kam. 
Ach, und die dreckigen Hunde kamen, um zu schächten und zu töten. 
Ach, sie kamen hierher, die Hunde.
Ach, sie brannten alles nieder und töteten. 
Ach, kleine Kinder töteten sie, die noch in der Wiege schliefen. 
Ach, alte Männer töteten sie. 
Ach, Krüppel töteten sie.
Ach, sie hatten kein Mitleid und warfen Lebende ins Feuer. 
Und wir liefen, wir Unglücklichen, durch die Straßen, hungrig und durstig. 
Ach, wer kommt jetzt heraus, um uns zu trösten, uns in den Arm zu nehmen?
Ach, wo sie entlang kamen, finden wir nur Leichen. 
Ach, wir sind Waisenkinder, finden nur noch aufgeschlitzte Tote.

Ach, ich kann nicht mehr.
Nach langsamen Gongschlägen, einzelnen Glockentönen gleich, ertönt Marschrhythmus. Die Tuba singt dazu wie ein Geschichtenerzähler, Saxophon und Klarinette klingen wie Schreie. Am Ende steht der warme Klang des Serpent, leise verklingend. Danach ist es lange still im Saal, ehe es, zögernd und verhalten, Applaus gibt. Bedrückend.

Das ist für Günter Baby Sommer auch Anlass, politisch zu werden. Er berichtet von Dresden, davon, dass es ihn ärgert, dass alle nur von Pegida sprechen. "Es gibt auch die vielen anderen, die für ein buntes Dresden auf die Straße gehen", sagt er, "aber die rechten Demonstranten haben es geschafft, den Theaterplatz für sich zu okkupieren und die Gegendemonstrationen werden oft weit weg geschickt. Für diese Gegendemonstranten habe ich einen Hymnus geschrieben". Aus einem anfänglichen Choral entwickelt sich ein fröhliches Stück, eine Mischung aus Swing, Jazz und Dixiland. Ja, blast Pegida und AfD weg! Diese Botschaft ist in der Musik deutlich zu hören. Und nach diesem Hymnus fügt er mit seinem nur leichten sächsischen Akzent hinzu "Nun ja, wenn's ein paar Pegida-Anhängern in Magdeburg nicht gefallen hat, dann war's doch eine schöne Musik". Später, nach dem Konzert, berichtet Baby Sommer, dass es ihm Angst macht, was in diesen rechten politischen Kreisen gerade passiert.

Ein Schlagzeug-Solo ("von Baby für Baby") widmete Baby Sommer dem Schlagzeuger, durch den er zu seinem Spitznamen gekommen ist: Warren "Baby" Dodds. "Er war der Erfinder des modernen Jazzschlagzeugs", sagte er, "einer der eigene Wege ging. Mir hat mal jemand (kritisch gemeint) 'du spielst ja wie Baby Dods' gesagt, ab da hatte ich meinen Namen weg". Sommer liefert ein Schlagzeug-Solo vom Feinsten. Schwer in Worte zu fassen, wie er mit aller Kraft Klänge zaubert, zum dröhnenden Rhythmus der base drum reihum alle anderen Trommeln schlägt, bis hin zu laut knallenden Geräuschen. Grandiose Klänge.

Am Ende kommt unter dem Titel" nicht gewollt und doch gespielt" das, was sich dann schon als die Zugabe erweist, auf die der Titel im Nachhinein bereits hindeutete. Nochmal spielen sich die drei Bläser gegenseitig Melodien zu, spielen mal abwechselnd, mal gemeinsam. Baby Sommer singt dazu einzelne Silben, und nacheinander gehen die Musiker einzeln von er Bühne, dabei auf ihren Instrumenten noch weiter spielend, bis am Ende der Schlagzeuger übrig bleibt.


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