Donnerstag, 16. Januar 2020

Zum Gedenken an die Zerstörung Magdeburgs vor 75 Jahren

Heute jährte sich die Zerstörung der Stadt Magdeburg in der Bombennacht des 16. Januar 1945 zum 75. Mal. Wie in den Jahren zuvor fand zum Gedenken an dieses schreckliche Ereignis im Forum Gestaltung ein Konzert unter dem Titel "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg" statt.
Warnfried Altmann – Saxophon
Hermann Naehring – Schlagwerk
Mohamad Issa – Text
Norbert Pohlmann – Text, Filmcollage

Norbert Pohlmann dachte vor Beginn des Konzertes, an das Publikum gewandt, über das Gedenken an Krieg und Zerstörung nach. "Wenn die Menschheit jeden Tag einen neuen Gedenktag der Zerstörung hinzubekommt, macht es da noch Sinn zu gedenken? Mit Gedenkkonzerten darauf reflektieren?". Und antwortet auf seine Fragen, auf seine eigene Ratlosigkeit: "Wir denken ein 'Dennoch' mit. Denn noch ist es nicht zu spät. Immer noch sind aufhaltsame Aufstiege zu verhindern. Und Apfelbäume werden immer wieder, selbst auf verbrannter Erde zu pflanzen sein." Und er erinnert an eine andere Gegend, in der auch heute immer noch Krieg herrscht, Städte zerbombt werden. "So wie die Weltkulturerbestadt Aleppo, einer der ältesten Städte der Welt." Aleppo in Syrien, von wo Mohamad Issa kommt, der im Forum Gestaltung eine kulturelle Heimat gefunden hat und der in Gedichten über Krieg und Zerstör ung, aber auch über die Schönheit des Lebens schreibt. "Übrigens hat Aleppo auch eine biblische Bedeutung", fügt Pohlmann hinzu, "ein anderer Name der Stadt war 'Halab-asch-schahba', 'der Ort, an dem Abraham die Kuh gemolken hat', um die Milch an die Armen zu verteilen. Eine wahrhaft friedliche Geste aus dem Alten Testament, in dem aber auch die Klagelieder des Jeremia stehen, die die Zerstörung Jerusalems bildhaft beschreiben."

Mohamad Issa beginnt zu rezitieren, unterstreicht seine Gedichte mit Gesten, seine melodischen arabischen Worte gibt Norbert Pohlmann anschließend in einer deutschen Übersetzung wieder. Vom Irrsinn des Krieges ist die Rede, der über die Menschen gekommen ist. Und von der Heimat, die verloren ist und zerstört. Während Issa noch spricht, lässt Hermann Naehring aus seinem Schlagwerk, auf Becken und Trommeln, ein leises, bedrohliches trommeln hören, ein leises Dröhnen.

Zum Text – und nun auch zur Musik von Hermann Naehring und Warnfried Altmann laufen die von Norbert Pohlmann als Collage zusammengestellten Filmausschnitte. Alte Schwarzweiß-Filme, beginnend mit einem harmlosen heiteren Himmel, in den sich aber bald startende Kriegs-Flugzeuge schieben, abgelöst von Aufnahmen aus Magdeburger Rüstungsbetrieben, in denen Kanonen geschmiedet und Bomben und Granaten hergestellt werden. Panzer laufen vom Band, Räder müssen rollen für den Krieg.

Das an den ersten Weltkrieg erinnernde Barlach-Denkmal aus dem Dom ist zu sehen, mit dem Toten am Boden, unter seinem verrutschten Stahlhelm. Und daneben eingeblendet: das Schreiben des Kirchenvorstandes, das die Entfernung des Denkmals aus dem Dom anordnet.

Immer konkreter werden die Filmbilder, zeigen Angriffe der Soldaten, erste Bombenabwürfe. Mit Schlägen auf der großen Taiko-Trommel wird das Kriegsinferno in Töne umgesetzt. Kreischendes Blech kommt hinzu. Dann plötzlich Schweigen, und auf der Leinwand stehen Goebbels' Worte "Wollt Ihr den totalen Krieg?" Vor der Totenstille im Saal scheinen diese Worte in den Ohren um so lauter zu klingen – das historische Wissen um die aufpeitschende Sportpalast-Rede spielt dabei sicher mit.

Dann der 22.2.1943: Ein Erlass kündigt den Transport der jüdischen Einwohner an. "Mitzunehmen sind: eine Wolldecke, eine Hose, zwei Hemden, derbe Arbeitsstiefel, ..., Verpflegung für drei Tage". Warnfried Altmanns Saxophon schreit klagend laut auf.

In den immer intensiver wirkenden Kriegsfilm-Sequenzen ist meist nicht zu sehen, vielleicht allenfalls zu erahnen, wo sie aufgenommen sind. In einigen erkennt man Magdeburg – der Krieg kehrt an seinen Ursprung zurück – aber es spielt auch nicht unbedingt eine Rolle, wo sie aufgenommen sind: Sind es deutsche Bomben, sind's alliierte, das Leid ist universell, die zerstörten Häuser, die brennenden Städte, die Toten. Als im Film während eines nächtlichen Luftangriffs der Blick von auf die brennende und explodierende Stadt fällt, dazu das schreiend laute Saxophon und das expressive Schlagwerk zu hören sind, dann hat das etwas biblisches, man meint die Stimme Gottes zu hören – oder sind es doch nur die Schreie der Menschen dort unten, Klagen aus tausenden Kehlen.

Särge sind zu sehen, Tote, auch Kinder. Und Warnfried Altmann entfährt ein tiefer Schrei, diesmal nicht aus seinem Instrument, und so laut, dass es lange durch die leeren Flure des Forum Gestaltung hallt. Am Ende dann sind Luftbilder zu sehen, aufgenommen von einem amerikanischen Aufklärungsflugzeug, das die Elbe entlang fliegt, über die zerbombte Stadt und die zerstörten Brücken hinweg. Und über den Filmbildern stehen noch einmal Goebbels' Worte, die sich als schreckliche Prophezeiung erwiesen.

Nach einem langen Moment der Stille treten noch einmal Mohamad Issa und Norbert Pohlmann ans Mikro und lesen eine Ode an Magdeburg. "Magdeburg du Schöne", heißt es da, "Du Stadt Edithas und Telemanns". Und auf der Leinwand erscheint der aus Asche steigende Phoenix, das Symbol des Wiederaufbaus aus einem Plakat des Jahres 1947.


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