Sonntag, 23. April 2017

LeipJAZZig-Orkester spielt Hanns Eisler

Am Abschlußtag der Magdeburger Jazztage gab es ein großes Abschlußkonzert. Auf der Bühne im Gesellschaftshaus Magdeburg stand am Sonntag das LeipJAZZig-Orkester. Welches aus Leipzig stammt – aber das ist ja schon im Bandnamen zu lesen.
Stephan König (ld, p, comp, arr)
Thomas Prokein (vl)
Ulrike Strobel (vc)
Frank Bartsch (trp)
Gundolf Nandico (hrn)
Natascha Zickerick (tba)
Frank Nowicky (fl, alt-sax, ten-sax, cl)
Michael Arnold (ten-sax, alt-sax, sopr-sax, cl)
André Bauer (alt-sax, bar-sax, cl, bass-cl)
Jan Roth (dr)
Michael Breitenbach (sopr-sax, alt-sax)
Frank Kaiser (git)
Stephan "Grete" Weiser (bg)
Wolfram Dix (vib, perc)

Das LeipJAZZig-Orchester unter Leitung des aus Magdeburg stammenden Pianisten Stephan König lieferte am Sonntag im Gesellschaftshaus Magdeburg ein grandioses Finale. Die Leipziger Bigband, deren Mitglieder frei arbeitende Musiker sind, die sich zum Bigband-Projekt zusammenfinden, interpretierte die Musik von Hanns Eisler neu und setzte den Schwerpunkt auf dessen Orchesterwerke. „Zuletzt war die Bigband im Jahr 2000 in Magdeburg bei Jazz in der Kammer zu Gast“, sagte Stephan König. Damals noch in den Freien Kammerspielen im heutigen Schauspielhaus. Mit seinem neuen Programm erinnerte Stephan König an Leben und Werk von Hanns Eisler. Der Komponist emigrierte während der Zeit des Nationalsozialismus in die USA. Von dort wurde er wegen unamerikanischen Verhaltens ausgewiesen. Zurück in Deutschland, fühlte er sich auch in der DDR als Vertriebener, der sich auch dort nicht so wie erhofft verstanden fühlte. Auch in der nachträglichen Betrachtung seiner Werke wird er häufig nur als Komponist der Nationalhymne gesehen und sein umfangreiches Werk viel zu oft vernachlässigt.

Stephan König, zugleich Pianist des LeipJAZZig-Orkesters, dirigierte die Bigband vom Flügel aus. Das Konzert begann mit einem harmonischen Bläsersatz und dem Marschrhythmus der Trommel. Es folgte eine Zusammenstellung einiger Lieder Eislers, darunter eines meiner Lieblingsstücke von ihm, „An den kleinen Radioapparat“, mit verhaltenen, melancholischen Bläsertönen, im Mittelteil auch E-Gitarre und Geige.
Du kleiner Kasten, den ich flüchtend trug,
Daß meine Lampen mir auch nicht zerbrächen,
Besorgt vom Haus zum Schiff, vom Schiff zum Zug,
Daß meine Feinde weiter zu mir sprächen,
An meinem Lager und zu meiner Pein,
Der letzten nachts, der ersten in der Früh,
Von ihren Siegen und von meiner Müh:
Versprich mir, nicht auf einmal stumm zu sein!
Das Solidaritätslied, bei dem schon wenige Akkorde reichten, um die Melodie vor Ohren zu haben – auch wenn die Bigband-Version Eislers Klänge sehr stark variierte –, das Vielleicht-Lied, das Lied eines Freudenmädchens waren weitere Stücke. Auch wenn alle diese Lieder nur instrumental erklangen – wer das Solidaritätslied in Erinnerung hatte, für den war aus den Blechbläsern und Streichern war der Ruf „Vorwärts!“ deutlich zu vernehmen, noch bevor die vollständige Melodie zu hören war.

Ein Schwerpunkt des Konzerts lag für Stephan König in Eislers Orchestersuiten. „Ich habe dafür Teile aus meinen Lieblingsstücken von Eisler zusammengestellt, etwa aus der 5. und 6. Orchestersuite“, erklärte König. Orchesterwerke in den für Eislers Musik typischen Rhythmen, von König in einer Art „Improvisation für Orchester“ neu gemixt. Das war durchaus fröhlich anzuhören, Swing der 40er Jahre kam ebenso vor wie Volksfestmusik. Eine musikalische Zeitreise par excellence.

Nach der Pause ging es mit Fusion-Klängen weiter, südamerikanisch angehaucht. Eine Komposition von Stephan König, der Kälbermarsch, eine Reminiszenz an Magdeburg, wo er an der Kälberweide wohnte.
Am Ende des Konzertes stand eine Filmmusik von Eisler. Dieser vertonte 1941 den holländischen Stummfilm „Regen“. Weit bekannter wurde seine Filmmusik als eigenständiges kammermusikalisches Werk „14 Arten den Regen zu beschreiben“. Stefan König sagte dazu, „ich habe erst versucht, die Musik für die Bigband neu zu arrangieren. Ich mußte dann aber feststellen, ‚man kann die Musik nur so spielen, wie sie ist, oder man läßt es’. Deshalb habe ich mich von Eisler inspirieren lassen und selbst etwas geschrieben“. So gab es die „7 Arten den Regen zu beschreiben“. Ein Werk voller Phantasie, voller Möglichkeiten zu lauschen und sich zu den lautmalerischen Klängen eigenen Assoziationen hinzugeben. Da gibt es den leisen Landregen, bei dem das Xylophon mit ersten Tropfen das Gras nach langer Trockenheit benetzt, den Sturm, der Staubwolken aufwirbelnd die Straße hinauf zieht, mit Gewitterwolken am Himmel, ein riesiges akustisches Tohuwabohu. Als es wieder ruhiger wird, hört man sogar – und das muß man selbst gesehen haben – das Platzen von Blasen, die die letzten dicken Regentropfen auf den Pfützen schlagen. Tiefe Borduntöne aus dem Baßsaxophon machen einem leisen Plätschern Platz, Zellophanknistern mischt sich mit Pizzikatoklängen der Streicher. Das Ohr ist so von den vielfältigen Klängen des Orchesters gefangengenommen, daß Königs perlende Töne am Klavier eher den Hintergrund bilden. Auf Stephan Königs Youtube-Kanal gibt es eine vier Wochen zuvor aufgenommene Version des Stückes:


Als Zugabe gab es Eislers bekanntestes Werk: die DDR-Nationalhymne. „Die gehört auch zu Eisler, aber wir wollten sie nicht einfach so nachspielen“, sagte König, „da erinnerte ich mich an Jimmi Hendrix’ geniale Verfremdung der US-Hymne“. Aus dieser Idee resultierte ein grandioses musikalisches Erlebnis. Schreiend laut verzerrte E-Gitarren intonierten die bekannte Melodie, bevor die Band sie kraftvoll und mit vollem Einsatz aller Kräfte in den musikalischen Kontext osteuropäischer Klänge stellte. Ein starkes Ende des Konzertes und des gesamten Festivals.

Nachtrag: Auf der Webseite des Gitarristen der Band, Frank Kaiser, gibt es die Aufnahme der DDR-Nationalhymne in der Version des LeipJAZZig Orkester: 16_03_2017-j_HymneOrk8-1.mp3.

Nach dem Konzert kam Gertraud Müller, Stephan Königs erste Magdeburger Klavierlehrerin auf ihn zu und beglückwünschte ihn zu dem tollen Konzert. Sie hatte seinen musikalischen Werdegang immer verfolgt, auch nach seiner Magdeburger Zeit. „Natürlich habe ich bedauert, daß er aus Magdeburg wegging“, sagte sie, „aber ein Weg muß immer fort führen, raus in die Welt“. Schön, wenn er ab und zu auch wieder zurück führt.


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