Montag, 21. September 2020

Angelika Niescier und Alexander Hawkins

Bei Jazz in der Kammer standen heute Angelika Niescier (sax) und Alexander Hawkins (p) auf der Jazz-Bühne im Forum Gestaltung Magdeburg. Zwei großartige Musiker mit Sinn für die kleinen Töne im großen Klang. 

Vor Beginn des Konzertes eröffnet Warnfried Altmann, der die Konzerte von Jazz in der Kammer organisiert, die neue Saison nach der Sommerpause. "Ich freue mich, Euch hier wieder zu sehen", sagt er dem Publikum, das dies nach der allmählichen Lockerung der Corona-Auflagen ebenso empfindet. 

Und dann beginnt das Konzert. In einer unglaublich stillen Atmosphäre: Angelika Niescier stellt sich an den geöffneten Deckel des Flügels, bläst zwei, drei Töne auf dem Saxophon, sehr kräftig, förmlich in den Korpus des Flügels hinein. Und in der danach einsetzenden Stille wird der Nachklang dieser Töne hörbar, die Alexander Hawkins mit seinen Fingern gedrückt hält. Resonanz der Saiten, aber dieser tontechnische Aspekt interessiert in diesem Augenblick nicht. Da hört man einfach nur die Töne leise verklingen, hört sie auch durch das ganze Forum Gestaltung hallen. Und dann nochmal und nochmal. Erst nach und nach beginnt Hawkins auf den Tasten zu spielen, nur einzelne Töne erst, am obersten und untersten Ende der Tastatur liegend. Nach diesem Moment der Ruhe kommt Niescier mit ihrem Sax hinzu, rhythmisch, wild und dennoch an die Ruhe des Pianos angepasst. Ein musikalische Pardoxon, die beiden mit ihren so unterschiedlichen Instrumenten. 

Das zweite Stück ("untitled 2") folgt auf "untitled 1" - Titel sind den beiden nicht so wichtig - ist viel kräftiger, hat zugleich eine komplizierte Rhythmik in den Klaviertönen, die Niescier auf dem Saxophon beantwortet. Dann und wann ergebens sich aus dem Gewirr einzelner Töne auch kleine Melodien, die sich im Kopf des Hörers aus dem zusammensetzen, was einer extremen Form von Minimal Music ähnelt.

Später spielt Hawkins den großen Flügel wie ein Toy Piano mit vielleicht 20 Tasten, nutzt diese aber um so intensiver und kraftvoller, spielt sich wiederholende Pattern, ebenso wie Niescier auf dem Sax. Eine Musik, die von der steten Wiederholung lebt, das Ohr des Zuhörers wird dabei empfänglich für kleine Veränderungen in der Struktur. 

Vor der Pause wird es angesichts der zuvor kräftigen Klänge ungewohnt leise. Hawkins liefert ein ruhiges und melodisches Piano-Solo, zeigt seine an klassischen Stücken orientierte harmonische Seite. "Ich habe in meiner Kindheit Klavier spielen gelernt und in meiner Jugend war ich Organist", sagt er später. "Telemann, Bach, Buxtehude, Messiaen, Werke dieser Komponisten habe ich da gespielt". 

Nach der Pause beginnt das zweite Set ruhig wie das erste. Diesmal ist es Hawkins, der sehr breit gedehnte Akkorde anstimmt. Niescier lässt dazu nur Luft durch das Saxophon strömen, bläst ihr Instrument tonlos an, Windgeräusche sind zu hören. Später bläst sie das Sax scheinbar ohne Luft zu holen, so wie Digeridoos in Zirkularatmung gespielt werden, mit endlosen Tonfolgen. 

Immer wieder gibt es Stellen, an denen Niescier unisono Hawkins' Piano folgt. An einer Stelle meine ich das Tatatata aus Beethovens fünfter Sinfonie herausgehört zu haben. Ein kurzer Moment nur. Eine akustische Täuschung? "Kann schon sein, dass das zu hören war", sagten die Musiker später - wenn Du es heraus gehört hast, dann war es auf jeden Fall in Deiner Empfindung so". Das passt zur klassischen Ausbildung des Pianisten, die auch in seinem Solo zum Ausdruck kommt. Wie ein klassisches Musikstück klingt es da, ruhig, elegisch. Allmählich verändert sich der Charakter des Stückes, Niescier kommt hinzu, gibt eine neue Richtung vor, wild, extatisch, heftig und laut. Dann geht es wieder zurück zum Piano-Solo, und am Ende steht Angelika Niescier wieder neben dem Piano, bläst einzelne Töne in das große Instrument. Völlig still und gebannt lauscht das Publikum wie am Anfang dem Nachklang der Töne. Der Kreis der Musik hat sich geschlossen. 

Nach dem Konzert spreche ich mit beiden Musikern, eine interessante und angeregte Unterhaltung über ihre Musik. "Das coole bei Alexander ist, dass er die Tonsprache verinnerlicht hat und sie abrufen und in das Zusammenspiel einbringen kann", sagt Angelika Niescier. "Jazz ist für mich immer ein Mix aus allem", sagte er, "Jazz, Klassik, Rag, Cuban Style, Musik aus allem", erklärt er. "Das Problem ist, dass viele Leute in Schubladen denken. Uns geht es um das Verwischen von Grenzen" Angelika Niescier dazu: "Ja, wir können ausloten, bis wohin man gehen kann mit den Ideen."  Alexander Hawkins ergänzt, "man muss aber auch in der Improvisation Sinn für Struktur haben". Warnfried Altmann freut sich über diese These, "genau das habe ich meinen Studenten auch immer beigebracht".

Dass Niescier und Hawkins zusammen auf der Bühne stehen, entspringt einer zufälligen Begegnung, bei einem Festival in Berlin. Sie tauschten Melodien aus, trafen in Zürich und Frankfurt wieder aufeinander. Inzwischen ist bereits eine CD entstanden, ein weiteres Recording folgt am Tag nach dem Magdeburger Konzert.

Warnfried Altmann freute sich, das erste Konzert
nach der Sommerpause ansagen zu können.

Die letzten vier Fotos ergeben, hintereinander weg im Bildbetrachter angeschaut (anklicken) ein kleines Daumenkino.


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