Mittwoch, 16. Januar 2019

Konzert zum Gedenken an die Zerstörung Magdeburgs

Heute war der Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs am 16. Januar 1945. Eine der Gedenkveranstaltungen war die im Forum Gestaltung, bei der Warnfried Altmann und Hermann Naehring unter dem Titel "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg" eine von Norbert Pohlmann zusammengestellte Filmcollage begleiteten. Der syrische Autor Mohamad Issa trug Verse über den Krieg vor, den er in Syrien erlebte.


Schon vor Beginn des Konzertes waren Antikriegslieder zu hören, etwa das von Hannes Wader gesungene "Wo sind all die Blumen hin". Denen, die am Jahrestag der Zerstörung Magdeburgs in das Forum Gestaltung kamen, war die Antwort wohl klar. Auch was die Gäste erwarten durften, war bekannt. Norbert Pohlmanns stumme Collage alter Schwarzweißfilme aus der Zeit vor dem Krieg und aus dem Krieg wurde bereits viele Male von Musikern begleitet, mal von Altmann und Naehring, mal vom Neuen Magdeburger Kammerchor. Jeder hat da seine eigene Interpretation, bei Altmann und Naehring ist sie, da frei improvisiert, auch jedes mal ein wenig anders. Nur eines steht für Pohlmann immer im Vordergrund: "die Deutung der Vorgänge dürfen wir nicht den Rechten überlassen".

Und so hielt er am Beginn des Abends einen Linoldruck-Band aus dem Jahr 1969 in der Hand, Georg Kaisers "Die Gasgesellschaft", und erinnerte an die Jahre, als man bereits einmal versuchte, den Krieg zu vergessen, vor allem auch die Schuld und Verstrickung zu vergessen. "Vielleicht etwas zu sehr zu vergessen", sagte er und erklärte, in diesen Jahren begann die erste Nachkriegsgeneration nachzufragen, Diskussionen setzten ein und in Berlin veröffentlichten die zwei Buchdrucker und Künstler Wolfgang Jörg und Erich Schönig einige illegale Flugblätter des in Magdeburg geborenen und 1945 im Exil gestorbenen Georg Kaiser, in welchen die ehemaligen Führer karikiert wurden.

Der syrische Autor Mohamad Issa, der aus seiner Heimat vor dem Krieg floh und im Forum Gestaltung seine neue, seine künstlerische Heimat fand, rezitierte einige seiner Gedichte. Auf arabisch, anschließend trug Norbert Pohlmann sie auf deutsch vor. "Feuer und Rauch verbrennen die Heimat / Feuer und Rauch vernebeln den Blick" hieß es darin. Issa spricht von erträglicher werdenden Schmerzen, die aber nie ganz verschwunden sind. "Ein wahres Elend, der verdammte Krieg" – so schrieb es der griechische Dichter Aristophanes. So empfanden es die Bewohner Magdeburgs und so empfinden es die Bewohner der heutigen Kriegsgebiete.

Auf der Leinwand hinter den beiden Musikern fangen Filmbilder an zu laufen. Bilder eines klaren Himmels, vielleicht ist es der Winterhimmel des Januar 1945. Schrift wird eingeblendet. "Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstellen können?" Worte aus der Sportpalastrede von Joseph Goebbels sind es. Leise fängt Hermann Naehrings Becken an zu klingen, wird immer lauter, dröhnender, wird von Paukentönen begleitet. Dazu kommt Warnfried Altmann erst mit einer leisen Maultrommel, dann nimmt er sein Saxophon und begleitet damit das Schlagwerk.

In den Filmbildern beginnt der Krieg im Frieden, in Magdeburger Rüstungswerken werden Panzer gebaut, Granaten gedreht, Bomben gegossen, Kanonenrohre geschmiedet. All dieses wird von Marschrhythmus begleitet, Soldaten marschieren auf, Panzer fahren, erste Kämpfe sind zu sehen. Bombenangriffe mit Sturzkampfbombern – und den Unheil verheißenden Sirenentönen aus Altmanns Saxophon. Hermann Naehring bringt den Kriegslärm auf seiner riesigen Taiko-Trommel zum Ausdruck.

Plötzlich wieder Text auf der weißen Leinwand: "Erlaß: Sie haben sich zu dem am 22. Februar 1943 von hier abgehenden Transport einzufinden. Mitzunehmen sind: 2 Hemden, 2 Paar Strümpfe, 2 Unterhosen, 1 Pullover, 1 Essnapf, 1 Löffel, Verpflegung für zwei Tage ...". Beinahe unerträglich lange steht dieser Text da, und erst allmählich wird begreiflich, wovon da klar und deutlich die Rede ist. Warnfried Altmanns klagende Schreie auf dem Saxophon unterstreichen den so bürokratisch angeordneten Transport der Magdeburger Juden in die Vernichtungslager.

Unterdessen kommt der Krieg zurück, brennen Häuser, sind Tote aufgereiht, Männer, Frauen und Kinder. Kinder denen in den Filmbildern noch die Haare leicht im Wind wehen. Und Altmann stimmt auf dem Saxophon "Oh Haupt voll Blut und Wunden" an, immer wieder durch schreiend laute Töne unterbrochen.

Am Ende dann Luftbilder von einem Flug über das zerstörte Magdeburg, die Elbe mit ihren zerstörten Brücken entlang, über die Stadt hinweg, man erkennt das Lutherdenkmal vor der Johanniskirche, das Guericke-Denkmal auf dem Markt, sieht den Dom, die damals noch stehen gebliebene Ulrichskirche, die Ruine der Post.

Hoffnung gibt der Phönix, der (1947 auf einem Plakat der Ausstellung zum Wiederaufbau der Stadt) als Symbol des Wiederaufbaus aus der Asche und den Trümmern emporsteigt. "Magdeburg lebt", steht dort geschrieben. Ein letztes Gedicht von Mohamad Issa handelt dann von der Stadt Magdeburg, die so viele bedeutende Leute hervorgebracht hat, die auch eine Stadt der Wissenschaftler, der Musiker und Künstler war.

Nach dem Konzert lange Zeit Stille, dann – zögernd erst – Applaus. Der Eindruck aus den Filmbildern und der Musik wirkt noch nach und still gehen die ersten Gäste, andere bleiben noch und lauschen im Innenhof des Forum Gestaltung den Glocken, die kurze Zeit später überall in der Stadt zu läuten beginnen.


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