Am Pfingstmontag spielte der ukrainische Gitarrist Enver Izmaylov auf der Jazzbühne des Magdeburger Schauspielhauses.
Enver Ismaylovs Leben spiegelt vieles von dem wieder, was man ansonsten nur aus den Nachrichten kennt. Izmaylov ist Ukrainer und stammt aus einer Familie von Krimtartaren, die unter Stalin vertrieben und zwangsumgesiedelt wurde. Deshalb wurde er im usbekischen Fergana geboren und kehrte erst 1990 in die Heimat seiner Vorfahren zurück. Dort, auf der Krim, lebt er auch heute, nach der russischen Besetzung (und nach wie vor mit ukrainischem Paß). Daß gerade zwei Tage vor seinem Konzert die krimtartarische Sängerin Jamala mit "1944" – einem Lied über die Vertreibung ihrer Familie unter Stalin – den Europäischen Song-Contest gewann, war zwar ein Zufall. Für Ismaylov gab es aber auch Anlaß, sich auf der Bühne des Schauspielhauses darüber sichtlich zu freuen - und gleich die Melodie eines tartarischen Volksliedes in sein Programm einzubauen. In der Pause fragte ich ihn, ob sich denn die russische Besetzung auch auf ihn auswirke. "Die Reise nach Magdeburg war schon umständlich", sagte er, "weil man nicht über die gesperrte Grenze zur Ukraine kommt und von der Krim erst nach St. Petersburg und dann von dort nach Berlin fliegen muß". Und im täglichen Leben? "Auf der Krim ist Krise, in der Ukraine auch", sagte er etwas lakonisch, "aber ich bin Musiker und versuche in meiner Musik beide Seiten zu verbinden".
Diese Einstellung zur Musik war dann auch immer wieder in seinen Stücken zu erleben. Auf der Gitarre verband er improvisierend Melodien, die mal aus dem Westen kamen (wie die Beatles, Blues und Country), mal aus Musicals (Der Fiedler auf dem Dach) und dann auch aus russischen Volksliedern (wie beispielsweise Kalinka).
Mit seiner speziellen Fingertapping-Technik, bei der er die Gitarre fast ausschließlich nur auf dem Griffbrett spielt, dabei beide Hände sowohl zum Greifen der Töne und zum Anschlagen der Saiten nutzend, zaubert Izmaylov ein wahres Feuerwerk an Tönen, Klängen, Melodien und Rhythmen aus seinem Instrument, läßt sie mal rockig laut klingen, mal leise und sanft. Sähe man nicht, daß da auf der Bühne nur ein einzelner Mann sitzt, dann könnte man meinen, ein kleines Orchester wäre dort zusammengekommen. Auch wenn heute mit Technik vieles möglich ist (später kommt dann auch bei einigen Stücken ein zugemischtes Echo hinzu), so konnte Warnfried Altmann später davon berichten, daß die Klangvielfalt tatsächlich allein auf der Gitarre entsteht und auch ohne elektrische Verstärkung oder Soundeffekte funktioniert. "Enver hat gestern in meinem Heimatdorf gespielt und nach dem Konzert haben wir noch bei mir zu Hause zusammengesessen, da hat er meine alte akustische Gitarre genommen und darauf genauso toll gespielt wie auf seiner elektrischen", sagte er begeistert.
Enver Izmaylov erwies sich als ein ganz großer Virtuose, mit einem sagenhaften Gefühl für die Gitarre, scheinbar mit ihr eins geworden. Mit einer Selbstverständlichkeit sitzt er auf der Bühne, spielt mit einer Leichtigkeit drauflos – und es hat tatsächlich etwas spielerisches, fast verspieltes, wenn er Melodien erklingen läßt, wie sie ihm grad in den Sinn kommen. Und dann mit einem verschmitzten Lächeln ins Publikum schaut, wenn ihm etwas so gelungen ist, wie er es vor dem inneren Ohr hörte. Manchmal wirkte er wie ein Gitarrengott, der sich getrost neben andere große Gitarristen wie zum Beispiel Paco de Lucia (an den mich einige aus der Musikwelt Andalusiens stammende Stücke Izmaylovs erinnerten) einreihen kann.
Die Gitarre ist für Izmaylov aber nicht nur ein Melodieinstrument. "Guitar is not only for playing music", sagte er, "ist's also for telling stories", und macht das mit seinem "Morning in the village" mehr als deutlich. Allein mit den Klängen der Gitarre und mit gelegentlichen Gesten stellte er den Beginn des Tages auf dem Lande dar, mit morgendlichen Geräusche, angefangen vom Aufstehen zur Musik aus dem Radiowecker über das Starten des Motorrads (wunderbar tiefe Klänge auf der tiefsten Baßsaite als Röhren des Auspuffs!) und die Fahrt zur Arbeit bis hin zum Straßenverkehr in der Stadt. Das war tatsächlich keine Musik mehr, das war bestes Musik-Kabarett und zum schreien komisch.
Nach der Pause wandelte Izmaylov quer durch die Musikstile der Welt, durch amerikanischen Blues und Country, indische Sitar- und Tablaklänge, fabriziert dann Synthesizerklänge aus Pink Floyds "The Wall". Dabei scheut er vor keiner klanglichen und musikalischen Herausforderung zurück, erfindet Melodien für sich neu und setzt viele Instrumente auf seiner Gitarre um. Am Ende des Konzert gab es als Zugabe klassische Gitarrenmusik.
Nach seinem eigentlichen Konzert bat er Warnfried Altmann auf die Bühne, der sein Saxophon mitbrachte. So gab es als Extra-Zugabe noch eine kleine Jam-Session mit Improvisationen von Gitarre und Saxophon.
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