Montag, 21. März 2016

Juozas Milasius und Sabir Mateen

Am 21. März waren zu Gast bei Jazz im Schauspielhaus:
Juozas Milasius (LIT) – Gitarre,
Sabir Mateen (USA) – Saxophon

Als Juozas Milasius und Sabir Mateen auf die Bühne kommen, nutzen sie zunächst die ältesten Instrumente der Welt, ihre Stimmen. Werfen sich damit Silben zu, singen Wortfetzen einer Fantasiesprache. Dann greifen sie zu ihren Instrumenten und während Mateen langsame Tonfolgen spielt, fängt Milasius auf der elektrischen Gitarre zu experimentieren an, scheinbar die musikalischen Fähigkeiten eines eben gefundenen Instrumentes ergründend, dabei immer lauter werdend und wie besessen auf die Saiten seines Instrumentes einschlagend. Nun läßt sich auch Sabir Mateen am Saxophon von der Klangvielfalt inspirieren, erhöht sein Tempo, läßt das Saxophon kreischen und fiepsen. Beide steigern sich in ein wüstes Crescendo hinein. Bei so viel Kraft und Wildheit verblüffte dann das Ende des Stücks: ein versöhnlicher Ausklang melodisch einfacher Gitarrenriffs.

In die plötzliche Stille hinein erzeugt Juozas Milasius elektronische Klangeffekte, Sabir Mateens Saxophon tönt in das bedrohliches Lavageblubber eines Vulkans hinein, eines Vulkans, der bald ausbrechen wird, so wie auch Milasius' Gitarrensound ganz plötzlich explodiert. Zu diesem Zeitpunkt scheint die musikalische Rollenverteilung noch klar festgelegt: Milasius wild, unberechenbar und laut, Mateen wie ein stoischer Fels in der Brandung mit ruhigen und kräftig-klaren Sounds. Später wird sich das auch gelegentlich umkehren. Etwa wenn Milasius auf Gitarre, Verstärker und diversen Elektronikkästchen am Boden Klänge erzeugt, wie man sie früher beim Drehen des Skalenknopfes des Kurzwellenradios hören konnte, als der Wellenmix den Lautsprecher mal zirpen, mal knarksen ließ – Walgesänge aus dem Kosmos der analogen Rundfunktechnik – dann war er der ruhige Pol, um den herum laute Saxophonklänge kreisten.
Leicht einordnen läßt sich die Musik vom Milasius und Mateen nicht. Man müßte die Kategorie der Punk-Jazz-Hard-Rock-Performance erfinden – und würde damit doch nur einen kleinen Teil des Abends beschreiben. Zumal der Begriff Musik hier schon sehr weit ausgelegt werden muss, so sehr ist es eben auch ein Experiment, was da auf der Bühne stattfindet. Und das beginnt Spaß zu machen. Vielleicht liegt aber auch dieser Sinn in den wilden Klängen: in der Masse an lauten und wilden, oft dissonanten Tönen die wenigen leisen und sanften Melodien bewußt herauszuhören, die gelegentlich wie ein Sonnenstrahl vor dunklem Gewitterhimmel hervorscheinen. Einfach dasitzen, sich an die ohrenbetäubende Lautstärke gewöhnen und es den Ohren überlassen, die Pattern der Musik herauszuhören oder sich als Maschinist im Innern einer riesigen Maschine sitzen vorzustellen, in einem riesigen, laut vor sich hin dröhnenden Motor, wo man den Maschinenklängen lauschend die Töne mit geschlossenen Augen räumlich wahrzunehmen versucht. So entsteht eine Musik, die nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entspricht, die dafür aber um so interessanter wirkt und von beiden Musikern mit großem musikalischen Können performed wird.

In der Pause sagt Juozas Milasius über die hinter der kräftigen Musik steckende Idee: "das ist Expressionismus, das ist Ausdruck musikalischer Gedanken, die zwischen den Musikern ausgetauscht werden". Und Sabir Mateen fügt hinzu "Am besten nicht denken, sondern fühlen".  In der Tat ist der Vergleich zum Expressionismus in der Malerei eine durchaus zutreffende Beschreibung.

Nach der Pause zeigte sich, wie sehr man sich schon an den wilden Musikstil gewöhnt hatte. Als Mateen und Milasius zunächst nur ruhig vor sich hin spielten, da mochte man noch "das ist doch viel zu leise" denken. Aber plötzlich war an der Stelle, wo eben noch leise Gitarren den Ton angaben, schon wieder das Brummen und Schnarren der aufs äußerste verstärkten Gitarrensaiten zu hören, und dann kamen sie wieder, die Klangexplosionen von Gitarre und Saxophon, bei denen Güterzüge mit kreischenden Bremsen aufeinander zurasten. Plötzlich Stille, dann die Gitarre als Rhythmusinstrument: leise, aber in einem irrwitzigen Tempo und dem Saxophon als Bordun-Ton dienend.

Milasius steigert die Verstärkung mitunter so stark, daß schon Bewegungen der Gitarre zu Tönen führen. Tanzartige Bewegungen mit der Gitarre werden so zu Klängen, völlig verzerrt und damit keinem natürlichen Instrument zuzuordnen. Dazu wieder Mateens Saxophon, das ebenso wild ertönt.

Der heute gehörten Musik von Juozas Milasius und Sabir Mateen wohnte eine überaus große Kraft inne, die ich selten so erlebt habe und die ich auch kaum für möglich gehalten hätte. Wer die beiden auf Youtube sehen und hören möchte (ja, da gibt es irgendwo einen Konzertmitschnitt), dem sei deshalb zugerufen: Laßt das! Schaut euch die beiden live an! Diese Intensität müßt Ihr unmittelbar spüren und erfahren!


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