Sonntag, 14. April 2019

PENG PENG PENG

Lyrik und Jazz, Lesung und Schlagzeug in der Matinee der Jazztage. Ein interessanter und unterhaltsamer Sonntagvormittag, eine Freude, Sprache und Musik zusammen zu hören!
Nora Gomringer – Lesung,
Philipp Scholz – Schlagzeug

Norbert Pohlmann sagte in seiner Anmoderation "Lyrik und Jazz gehören zusammen, die Art die Welt zu sehen, sie zu interpretieren, verbindet beides". Und tatsächlich gab es bereits früher schon sehr bemerkenswerte Verbindungen, ja sogar Symbiosen der beiden Genres. Mir fallen da etwa "Jazz Lyrik Prosa" in der DDR der 1960er Jahre oder die Lesungen von (Prosa)Texten von Charles Bukowski. Diese Verbindung von Lyrik und Jazz bewog auch Carsten Geerth, Geschäftsführer des Gesellschaftshauses, Nora Gomringer zu den  Jazztagen einzuladen: "ich habe eine Sendung im Deutschlandfunk über Nora Gomringer gehört und war fasziniert, wie musikalisch ihre Vortragsweise ist".

Die Besucher der Lesung bekamen davon gleich zu Beginn einen Eindruck, als Nora Gomringer sie in ihrem "Ursprungsalphabet" in ein Meer von Assoziationen mitnahm, in die Geschichte der menschlichen Dichtkunst von der Antike an bis in die Neuzeit, von Ariadne bis Rilke. Nora Gomringer spricht, rezitiert, setzt ihre Stimme mit lautmalerischen Tönen ein. Ihre inhaltlichen Betonungen werden von Philipp Scholz mit percussiven Klängen am Schlagzeug unterstützt, oftmals sind es nur leise Trommelwirbel oder leicht angeschlagene Becken, die den Rhythmus von Gomringers Sprache aber wunderbar unterstützen. So auch in ihrem Trauergedicht für eine Freundin "Das Herz", mit Trommelschlägen im Takt des in der Brust schlagenden schlagenden Herzen.

Gomringers Gedichte und Prosatexte sind wort- und sprachgewaltig und haben oft eine leise Komik, wenn sie etwa ihre Begegnung mit einem Hermelin, das sie auf einer Bergwanderung anspricht, in verteilten Rollen schildert (das Hermelin leise lispelnd). Ein therapeutisches Tier, wie es im Text heisst, das sie am Ende fragt, ob es nicht das Ergebnis halluzinogener Medikamente sei und das am dann feststellt "vielleicht sollten Sie mich besser gar nicht hören können". Andere Geschichten sind leicht gruselig (mit leichten metallischen Klängen unterlegt) oder interpretieren Grimms Märchen neu. Wenn etwa die Bremer Stadtmusikanten sich zusammenfinden, ihnen neue Hintergründe gegeben werden (der Hahn zum Beispiel spielt gern Skat) und wenn nebenbei auch das Leben des Bauern und seiner Bäuerin in die Geschichte einfließen.

Nora Gomringer hat auch dunkle Seiten des Lebens in ihren Texten verarbeitet. So zum Beispiel das Leben der sogenannten "Verdingkinder", die noch Anfang des 20. Jahrhunderts von armen Bauernfamilien aus dem Schwarzwald wie Kindersklaven in die Schweiz zum Arbeiten gegeben wurden. Darüber hat sie ihren Text "Vielmals" geschrieben. Hinter der Fassade einer kindlichen Erzählung verbergen sich  untergründig Geschichten von Schmerz und Missbrauch, sagen die Worte genau das Gegenteil der zarten Xylophonklänge. Auch Gedichte anderer Autoren, beispielsweise das "Schlaflied für die Sehnsucht" von Selma Meerbaum-Eisinger, waren Teil der Lesung. Ein düsteres Liebeslied der jüdischen Dichterin, die 18jährig im Konzentrationslager starb.

Die Lesung von Nora Gomringer brachte Lesebühnen-Atmosphäre in das Gesellschaftshaus. Die erstmals ins Programm genommene Kombination von Lyrik und Jazz war eine Bereicherung der Jazztage (gerne im nächsten Jahr wieder!).

(Zu den Fotos unten: Wenn möglicherweise jemand 'die sind ja alle gleich' denkt: anklicken und wie ein Daumenkino durchblättern)


Nora Gomringer gibt Regieanweisungen: "Hier wäre ein kleiner Einsatz des Xylophons passend, wilde Schläge, mindest einmal aufsteigend und einmal absteigend" oder "nicht mehr als acht Sekunden".


Bei Youtube hat Nora Gomringer das Video zu ihrem Text "Vielmals" ins Netz gestellt:

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