Norbert Stein kam mit seinem aktuellen Projekt "Pata on the Cadillac" nach Magdeburg, in der Besetzung:
Norbert Stein — Tenorsaxophon, Komposition
Michael Heupel — Flöten
Nicolao Valiensi — Euphonium
Ryan Carniaux — Trompete
Georg Wissel — Altsaxophon
Albrecht Maurer — Violine
Joscha Oetz — Kontrabass
Christoph Haberer — Schlagzeug
Norbert Stein war mit seinen Pata Masters nun schon zum vierten Mal zu Gast bei Jazz in der Kammer, wie immer in relativ großer Besetzung. Das Konzert begann mit Anklängen an französische Kammermusik, Dissonanzen wechselten mit Flötentönen wie aus Debussys Nachmittag eines Fauns, die Violinmelodien heben sich zart empor, ein plötzliches wildes Durcheinander wie beim Stimmen eines Orchesters findet wieder zu einer gemeinsamen Melodie zurück.
Norbert Stein beschreibt den Hintergrund der Musik mit kurzen Texten, teils auch mit philosophischem Hintergrund. So wie bei Drifting: "Die Dinge kommen, sind da, und gehen auch wieder". Musikalisch ist es ein Bläsersatz, der die Trompete unterstützt. Die Töne entwickeln sich zu einem Furioso nahe der Schmerzgrenze, Steins Saxophon gleich einem Nebelhorn vorneweg, um dann die Bläser untereinander lustig schnattern zu lassen.
Bei Cat Walk steckt Schrödingers Katze hinter dem Titel. Ja, genau die aus der Physik, die in der Kiste mit dem zerfallenden Atomkern und dem giftigen Gas zugleich tot und lebendig ist. Was ist hier der Zusammenhang zur Musik? Vielleicht, daß sich erst beim hören entscheidet, ob die Musik harmonisch oder wild ist – oder vielleicht auch beides gleichzeitig.
Oder bei All is no thing, das als Wortspiel auch als All is nothing zu lesen ist. Die Musik fängt in harmonischem Zusammenspiel von Saxophon und Flöte an, die Melodie wird von der Violine aufgenommen und allmählich divergieren die Melodien irgendwo zwischen Kammermusik und Eisler, teils mit lautmalerischen Tönen.Und wem das zu durcheinander vorkam, der sei an noch viel ältere Musik erinnert – die Instrumente schnattern, quaken oder bellen lassen konnte auch schon Georg Philipp Telemann.
Man mußte sich schon wirklich einlassen auf Norbert Steins improvisierte Musik mit philosophischem Hintergrund, dann aber konnte man seinen Spaß dabei haben. Die verrückten Musiktitel geben dem Hörer zumindest Anhaltspunkte für eigene Assoziationen und Interpretationen. So ist dann The Gap eben "die Lücke zwischen zwei Gedanken". Die Stein unversehens mit Musik füllt.
Montag, 18. Juni 2012
Samstag, 16. Juni 2012
Bach und Kommentare
Ein Konzert der Pretziener Sommermusiken in der St.-Thomas-Kirche Pretzien, mit
Mit jedem Schlag der langsam ausklingenden Kirchenglocken wurde das Publikum in der bis zum letzten Platz gefüllten romanischen Kirche ruhiger. In die Stille der Kirche tönte ein Bachscher Orgelchoral, auf der warm, fast wie eine menschliche Stimme klingenden Orgel. Hans-Günter Wauer, der inzwischen 86jährige Organist, spielte bereits zu DDR-Zeiten neben Kirchenmusik auch Jazz-Konzerte auf den Kirchenorgeln und ist noch immer ein Meister der Improvisation auf seinem Instrument. Etwas wackligen Schrittes wurde er von Warnfried Altmann zur Orgelbank geleitet; als dann aber seine Finger die Tasten berührten, waren alle körperlichen Gebrechen vergessen.
Warnfried Altmanns Saxophon begleitete die Orgel beim nächsten Stück, einem Luther-Lied, wozu das Publikum nach den ausliegenden Notenblättern mitsang, allerdings nicht ganz textsicher. Ein Trostchoral, der an die Entstehungszeit der Musik erinnerte, mitten in Not und Elend.
Anschließend begann Hermann Naehring ein dröhnendes Furioso auf seinem Schlagwerk mit Pauken und Percussion, das von Orgelklängen abgelöst wurde. Mich erinnerten diese Klänge an Altmanns und Naehrings Gedenkkonzert "ein wahres Elend der verdammte Krieg" aus Anlaß der Zerstörung Magdeburgs. Kriegstrommeln und Geschützdonner, darüber wie ein Trost die Töne der Orgel.
Unterdessen ging Altmann in den Chor der romanischen Dorfkirche und kam von dort, auf dem Saxophon ein beinahe wie menschlicher Gesang klingendes Lied spielend langsam zurück zur Orgel geschritten. Zur Orgel, die Naehring diesmal auf hochtönendem Blech begleitet, dem Zimbelstern der Orgel gleich, leicht, zart und fast schon spielerisch. Um gleich darauf jazzige Rhythmen anzustimmen, denen Altmann improvisierte Kirchengesänge unterlegt.
Ganz andere Klänge gab es, als Naehring auf der Handtrommel Altmanns Sopransax begleitete, die Musik klang diesmal nach einer Mischung aus Orient und Mittelalter.
So harmonisch blieb es aber nicht. Wauers Orgelspiel wird von Saxophon und Schlagzeug übertönt, die Musik wandelt sich in Maschinenlärm, der plötzlich abbricht, um eine Melodie auf dem Saxophon hervorklingen zu lassen, die aber nicht aus wohltönenden Harmonien besteht. Stattdessen klingen schmerzhafte Schreie aus dem Instrument, das kurz darauf mit jazzigen Melodiefetzen spielt.
In die dann wieder eingekehrte Stille des Kirchenraumes mischen sich ganz leise Naehrings Töne, ganz ruhig und sphärisch, wie eine Filmmusik, die dem Unterton nach vielleicht die eines Thrillers sein könnte. Es war interessant anzusehen, wie Naehring ganz ruhig und scheinbar mühelos und beiläufig auf seinem hunderte Instrumente umfassenden Schlagwerk spielt, dickwandige bronzenen Klangschalen reibt, Trommelfelle nutzt, um den Ton von Messingbecken wabern zu lassen, Röhrenglocken anschlägt. Altmann löst dazu Akkorde auf, die im Hall des Kirchenschiffs wieder zusammenfinden. Gänzlich zur Klanglandschaft, in die man sich geschlossenen Auges hineindenken kann, wird die Musik, als Naehring seinen riesigen Regenmacher hervorholt, der den Regen minutenlang leise fallen läßt.
Als Altmann und Naehring in jazzige Töne wechseln und sich improvisierend und bis an die Schmerzgrenze laut, immerschneller werdend ein Duell liefern, sprengen Sie endgültig die Grenzen der Kirchenmusik. Um dorthin wieder zurückzukommen, spielt Wauer zum Schluß des Programms ein zeitgenössisches Orgelstück von Olivier Messiaen, das von Altmann und Naehring diesmal nur leise begleitet wird.
Als Zugabe spielt Altmann "der Mond ist aufgegangen", begleitet von Naehring auf dem riesigen Gong – der zugleich den Mond symbolisiert.
Ein Programm, das weitab von üblicher Kirchenmusik lag, musikalisch anspruchsvoll und interessant.
Ein paar Fotos vom Konzert gibt es erst in den nächsten Tagen – schauen Sie dann nochmal hier rein.
Warnfried Altmann — Saxophon
Hermann Naehring — Schlagwerk und Percussion
Hans-Günther Wauer — Orgel
Mit jedem Schlag der langsam ausklingenden Kirchenglocken wurde das Publikum in der bis zum letzten Platz gefüllten romanischen Kirche ruhiger. In die Stille der Kirche tönte ein Bachscher Orgelchoral, auf der warm, fast wie eine menschliche Stimme klingenden Orgel. Hans-Günter Wauer, der inzwischen 86jährige Organist, spielte bereits zu DDR-Zeiten neben Kirchenmusik auch Jazz-Konzerte auf den Kirchenorgeln und ist noch immer ein Meister der Improvisation auf seinem Instrument. Etwas wackligen Schrittes wurde er von Warnfried Altmann zur Orgelbank geleitet; als dann aber seine Finger die Tasten berührten, waren alle körperlichen Gebrechen vergessen.
Warnfried Altmanns Saxophon begleitete die Orgel beim nächsten Stück, einem Luther-Lied, wozu das Publikum nach den ausliegenden Notenblättern mitsang, allerdings nicht ganz textsicher. Ein Trostchoral, der an die Entstehungszeit der Musik erinnerte, mitten in Not und Elend.
Anschließend begann Hermann Naehring ein dröhnendes Furioso auf seinem Schlagwerk mit Pauken und Percussion, das von Orgelklängen abgelöst wurde. Mich erinnerten diese Klänge an Altmanns und Naehrings Gedenkkonzert "ein wahres Elend der verdammte Krieg" aus Anlaß der Zerstörung Magdeburgs. Kriegstrommeln und Geschützdonner, darüber wie ein Trost die Töne der Orgel.
Unterdessen ging Altmann in den Chor der romanischen Dorfkirche und kam von dort, auf dem Saxophon ein beinahe wie menschlicher Gesang klingendes Lied spielend langsam zurück zur Orgel geschritten. Zur Orgel, die Naehring diesmal auf hochtönendem Blech begleitet, dem Zimbelstern der Orgel gleich, leicht, zart und fast schon spielerisch. Um gleich darauf jazzige Rhythmen anzustimmen, denen Altmann improvisierte Kirchengesänge unterlegt.
Ganz andere Klänge gab es, als Naehring auf der Handtrommel Altmanns Sopransax begleitete, die Musik klang diesmal nach einer Mischung aus Orient und Mittelalter.
So harmonisch blieb es aber nicht. Wauers Orgelspiel wird von Saxophon und Schlagzeug übertönt, die Musik wandelt sich in Maschinenlärm, der plötzlich abbricht, um eine Melodie auf dem Saxophon hervorklingen zu lassen, die aber nicht aus wohltönenden Harmonien besteht. Stattdessen klingen schmerzhafte Schreie aus dem Instrument, das kurz darauf mit jazzigen Melodiefetzen spielt.
In die dann wieder eingekehrte Stille des Kirchenraumes mischen sich ganz leise Naehrings Töne, ganz ruhig und sphärisch, wie eine Filmmusik, die dem Unterton nach vielleicht die eines Thrillers sein könnte. Es war interessant anzusehen, wie Naehring ganz ruhig und scheinbar mühelos und beiläufig auf seinem hunderte Instrumente umfassenden Schlagwerk spielt, dickwandige bronzenen Klangschalen reibt, Trommelfelle nutzt, um den Ton von Messingbecken wabern zu lassen, Röhrenglocken anschlägt. Altmann löst dazu Akkorde auf, die im Hall des Kirchenschiffs wieder zusammenfinden. Gänzlich zur Klanglandschaft, in die man sich geschlossenen Auges hineindenken kann, wird die Musik, als Naehring seinen riesigen Regenmacher hervorholt, der den Regen minutenlang leise fallen läßt.
Als Altmann und Naehring in jazzige Töne wechseln und sich improvisierend und bis an die Schmerzgrenze laut, immerschneller werdend ein Duell liefern, sprengen Sie endgültig die Grenzen der Kirchenmusik. Um dorthin wieder zurückzukommen, spielt Wauer zum Schluß des Programms ein zeitgenössisches Orgelstück von Olivier Messiaen, das von Altmann und Naehring diesmal nur leise begleitet wird.
Als Zugabe spielt Altmann "der Mond ist aufgegangen", begleitet von Naehring auf dem riesigen Gong – der zugleich den Mond symbolisiert.
Ein Programm, das weitab von üblicher Kirchenmusik lag, musikalisch anspruchsvoll und interessant.
Ein paar Fotos vom Konzert gibt es erst in den nächsten Tagen – schauen Sie dann nochmal hier rein.
Freitag, 8. Juni 2012
Vorschau Juni
Am 18. Juni kommt Norbert Stein mit seinem aktuellen Projekt "Pata on the Cadillac" nach Magdeburg, in der Besetzung
Norbert Stein — Tenorsaxophon, Komposition
Michael Heupel — Flöten
Nicolao Valiensi — Euphonium
Ryan Carniaux — Trompete
Georg Wissel — Altsaxophon
Albrecht Maurer — Violine
Joscha Oetz — Kontrabass
Christoph Haberer — Schlagzeug
Norbert Stein war bereits vor einigen Jahren Gast bei Jazz in der Kammer. Seine Musik stellt er unter den Begriff "Pata", der aber nichts mit der südafrikanischen Pata-Musik á la Miriam Makeba zu tun hat. Vielmehr lehnt er sich mit der Bezeichnung an die Pataphysik an, eine philosophische Richtung aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Alles musikalisch mögliche auch möglich machen, im Zusammenspiel unterschiedlicher Musikstile neue Varianten entdecken, das freie Interagieren der Musiker zu fördern, so könnte man seine Musik beschreiben. So darf man mit jedem neuen Projekt gespannt auf die Musik sein. Die Hörproben auf Norbert Steins Webseite machen neugierig. Bläsersätze, die sich improvisierend zwischen Bach-Chorälen. Hans Eisler und Free-Jazz bewegen, mal harmonisch, mal wild um eine Melodie ringend, während sich plötzlich Violinentöne aus den Bläsern herausheben. Faszinierend, und sicher keine ganz leichte Kost.
Für den Juni möchte ich noch auf zwei Termine außerhalb von Jazz in der Kammer hinweisen, bei denen der Organisator der Jazz-Reihe, Warnfried Altmann zu hören sein wird.
Am 13. Juni um 19 Uhr spielt die Martin-Rühmann-Band im Hafenbecken des Magdeburger Wissenschaftshafens. Die Bühne befindet sich auf einem im Hafenbecken schwimmenden Schiff, während die Konzertbesucher auf der Freitreppe zum Hafenbecken sitzen oder am Rand des Beckens stehen. Die Rühmann-Band aus Magdeburg gehört mit ihrer Musik und den poetischen Texten schon seit langem zu meinen musikalischen Favoriten.
Am 16. Juni um 17 Uhr spielen Warnfried Altmann (sax), Hermann Naehring (dr, perc) und Hans-Günther Wauer (org) in der romanischen St.-Thomas-Kirche in Pretzien. Ich freue mich schon sehr auf die drei. Hermann Naehring wird wohl wieder seine riesengroße japanische Tromel mitbringen und mit schweißtreibenden kräftigen Schlägen den Kirchenraum erzittern lassen, um dann gleich darauf das Spiel der anderen Musiker durch perlende Töne der Percussion-Instrumente unterschiedlichster Art zu bereichern. Hans-Günter Wauer, der inzwischen 86jährige Organist, spielte bereits zu DDR-Zeiten neben Kirchenmusik auch Jazz-Konzerte auf den Kirchenorgeln und ist noch immer ein Meister der Improvisation auf seinem Instrument. Und Warnfried Altmanns Saxophon wird in diese Improvisation einfallen und die Akustik des Kirchenraumes ausnutzen.
Norbert Stein — Tenorsaxophon, Komposition
Michael Heupel — Flöten
Nicolao Valiensi — Euphonium
Ryan Carniaux — Trompete
Georg Wissel — Altsaxophon
Albrecht Maurer — Violine
Joscha Oetz — Kontrabass
Christoph Haberer — Schlagzeug
Norbert Stein war bereits vor einigen Jahren Gast bei Jazz in der Kammer. Seine Musik stellt er unter den Begriff "Pata", der aber nichts mit der südafrikanischen Pata-Musik á la Miriam Makeba zu tun hat. Vielmehr lehnt er sich mit der Bezeichnung an die Pataphysik an, eine philosophische Richtung aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Alles musikalisch mögliche auch möglich machen, im Zusammenspiel unterschiedlicher Musikstile neue Varianten entdecken, das freie Interagieren der Musiker zu fördern, so könnte man seine Musik beschreiben. So darf man mit jedem neuen Projekt gespannt auf die Musik sein. Die Hörproben auf Norbert Steins Webseite machen neugierig. Bläsersätze, die sich improvisierend zwischen Bach-Chorälen. Hans Eisler und Free-Jazz bewegen, mal harmonisch, mal wild um eine Melodie ringend, während sich plötzlich Violinentöne aus den Bläsern herausheben. Faszinierend, und sicher keine ganz leichte Kost.
Für den Juni möchte ich noch auf zwei Termine außerhalb von Jazz in der Kammer hinweisen, bei denen der Organisator der Jazz-Reihe, Warnfried Altmann zu hören sein wird.
Am 13. Juni um 19 Uhr spielt die Martin-Rühmann-Band im Hafenbecken des Magdeburger Wissenschaftshafens. Die Bühne befindet sich auf einem im Hafenbecken schwimmenden Schiff, während die Konzertbesucher auf der Freitreppe zum Hafenbecken sitzen oder am Rand des Beckens stehen. Die Rühmann-Band aus Magdeburg gehört mit ihrer Musik und den poetischen Texten schon seit langem zu meinen musikalischen Favoriten.
Am 16. Juni um 17 Uhr spielen Warnfried Altmann (sax), Hermann Naehring (dr, perc) und Hans-Günther Wauer (org) in der romanischen St.-Thomas-Kirche in Pretzien. Ich freue mich schon sehr auf die drei. Hermann Naehring wird wohl wieder seine riesengroße japanische Tromel mitbringen und mit schweißtreibenden kräftigen Schlägen den Kirchenraum erzittern lassen, um dann gleich darauf das Spiel der anderen Musiker durch perlende Töne der Percussion-Instrumente unterschiedlichster Art zu bereichern. Hans-Günter Wauer, der inzwischen 86jährige Organist, spielte bereits zu DDR-Zeiten neben Kirchenmusik auch Jazz-Konzerte auf den Kirchenorgeln und ist noch immer ein Meister der Improvisation auf seinem Instrument. Und Warnfried Altmanns Saxophon wird in diese Improvisation einfallen und die Akustik des Kirchenraumes ausnutzen.